Arnold wurde übermorgen vierzig. „Du bist herzlichst eingeladen“ ließ mich seine angetraute Eheliebste wissen. Na ja, in schöner Regelmäßigkeit wiederholte sich dieser Geburtstag Jahr um Jahr, und ich überlegte, was ich diesmal für ein Geschenk mitnehmen würde. Die Frage erübrigte sich eigentlich von selbst, es handelte sich nämlich stets um etwas Alkoholisches. Nur: welche Sorte?
Inzwischen war es Übermorgen geworden, und ich hatte einen guten Himbeergeist besorgt. Gerade wollte ich mich auf den Weg machen, als der Anruf kam. „Wir treffen uns gegen 16 Uhr auf dem Parkplatz Priesterweg, denn wir feiern diesmal bei Arnolds Kollegen Heini, der hat heute auch Geburtstag. „Was ist denn das für ein Heini?“ wollte ich wissen. Na, der Heinrich Kasperke, den hast Du bei uns bestimmt auch schon mal gesehen, der mit der schwarzhaarigen Frau, Britta, die mit dem tollen Rezept für Rhabarberkuchen!“ „Ach was! Hatten die nicht auch einen Hund?“ „Jaja, aber den mußten sie leider einschläfern lassen. Jetzt haben sie einen Papagei!“ „Was du nichts sagst. Und, sagt der was?“ „Das weiß ich doch nicht, ich habe ja mit denen auch nicht so einen engen Kontakt!“ „Nicht?“
Na, ich wickelte das Geschenkpapier um die Flasche und machte mich auf den Weg. Auf dem Parkplatz am Priesterweg parkte der Opel. Ich durfte nach vorne zur Wagenlenkerin, Melitta. Auf dem Rücksitz hatte sich das Geburtstagskind schon etwas lässig ausgestreckt und gab sich Mühe, mit dem Ellbogen nicht in der Schüssel mit dem Kartoffelsalat zu landen. „Nnna, Du f-flotte Bie-biene, was haste denn für mich mmmit-jebracht, Fusel?“ „Arnold“ kam scharf und befehlend ein Ausruf von Melitta. Ein leichtes Grauen befiel mich bereits und ich suchte krampfhaft nach einem Ausweg, um irgendwie zu türmen. Aber da waren wir schon fast in Lichterfelde angekommen und hatten auch im Gardeschützenweg einen Parkplatz gefunden. Melitta trug die Schüssel mit Salat und Arnold stimmte ein frohes Liedchen an und wollte mir scherzhaft schon sein Geburtstagsgeschenk entreißen.
Es war angenehm warm und ein leises Lüftchen wehte. „Das ist der Früüüh-ling, das ist der Früüüh-ling, das ist der Frü -hü-hüling von Berlin ließ sich Arnolds Stimme weitgehend vernehmen, und anschließend mit kraftvollem Umba-Umba-Umba- Täteräh zogen wir in die Parterrewohnung bei Kasperkes ein, wo schon ein paar Kollegen und ein paar ernstblickende ältere Familienmitglieder erwartungsvoll am Kaffeetisch saßen. Auf mich machten sie einen verängstigten Eindruck. Zumindest die Familienangehörigen. Denn mit täterä, täterä, täterätetätätä fielen sich die beiden Geburtstagskinder freudig um den Hals, wobei der Gummibaum umfiel. Die schwarzhaarige Frau Britta hatte selbstredend auch einen Rhabarberkuchen gebacken, und dann auch noch einen klassischen Napfkuchen. Mit Rosinen. „Die Popel essick abanich“ ließ sich Arnolds Nichte Nicole sogleich vernehmen. Es kam noch ein weiterer Kollege mit Gattin und zwölfjährigem Sohn, Bertram und Isolde Kettler und ihr Ableger Rudolf. „Rudilein, guck mal, Käsekuchen. Den magst du doch sooo gerne“ beeilte sich Melitta, ihre hausfraulichen Talente hervorzuheben.
Nach dem friedfertigen Kaffeeklatsch beschlossen die Geburtstagskinder und noch weitere männliche Gäste, die mitgebrachte Alkoholika zunächst mal zu probieren. Also probierten sie, und zwischenzeitlich wurde auch mal eine Dame zum Tanzen aufgefordert. Im Hintergrund des geräumigen Zimmers hatte man einen Tapeziertisch aufgebaut, auf dem inzwischen schon mal die Schüsseln und Teller für das abendliche kalte Buffet angeordnet waren. Die Stereoanlage dröhnte, die Männer grölten, die Frauen quietschten, die Kinder motzten. Ich versuchte mich zu orientieren, wie ich mich unauffällig aus diesem Chaos entfernen könnte. Der Geräuschpegel stieg. Es wurde temperamentvoll getanzt. Arnold hatte Frau Sternke gepackt, die Buchhalterin aus seiner Firma. Er schwang sie temperamentvoll durch das Zimmer, und da sie eine zierliche Person war, hob er sie kraftvoll in die Höhe und setzte sie mit einem herzhaften Juchzer in den Kartoffelsalat.
Angesteckt von dem fröhliche Treiben hauten sich die Kinder die noch kaltern Bockwürstchen auf die Köpfe, und die Schwiegermutter suchte ihre Handtasche und ihren Gatten und den Ausgang aus diesem Tohuwabohu. Ich hatte mich in die Küche verkrümelt und fragte, ob ich was helfen könne. Hoffentlich sagt sie nicht ja, die Hausfrau, dachte ich. Aber sie lehnte mürrisch ab. „Mir reichts!“ sagte sie wütend.
Dann sah ich Melitta, ihren Arnold trotz jeden Widerspruchs nach draußen schieben und schloß mich schnellstens an. Er war wohl schon kurz vorm Delirium. Wie eine Rakete schoß er auf den Opel zu, erwischte die davorstehende Laterne, an der er Halt fand und drehte sich wohl 20 mal im Kreise, während seine Gattin die hintere Türe öffnete und mit einem letzen Schwung fiel er auf die Rückbank. „Steig ein“ sagte Melitta und öffnete mir die Vordertür. „Ach danke“, sagte ich, “ich muß noch ein bißchen frische Luft schnappen und ein Stückchen laufen. Die S-Bahn fährt ja auch noch.“
Geburtstage sind mir inzwischen ein Greuel.
Wenn man es vermeiden kann….