Kurtchen, Kurtchen

Bei diesem Bäcker in Wilmersdorf gab es den besten Kuchen aller Zeiten. Auf dem Weg zum Friseur war ich schon öfter daran vorbeigegangen, aber endlich setzte ich mich auch mal, frisch gelockt, in den kleinen Vorgarten und bestellte ein Stück Pflaumenkuchen mit Sahne und ein Kännchen Kaffee, Also Vorgarten war ja nun charmant übertrieben. drei Tische mit jeweils drei Stühlen standen vor dem Schaufenster, allerdings von einem weißlackierten Lattenzaum beschützt, auf dessen beiden Seitenpfosten je eine Blumenschale mit einem hängenden Gewächs mit lila Blüten den Garten sozusagen repräsentierte. Eine rote Markise hielt die sengende Sonne ab.

Ganz in der Nähe gab es einen Supermarkt, und eine Mutti mit Kind, die gerade aus dem Bäckerladen kam, nickte mir freundlich zu und fragte, ob ich mal für eine halbe Stunde auf Kurtchen aufpassen würde, falls es meine Zeit erlaubt; sie würde gerne schnell mal einkaufen. Wir kannten uns vom Sehen, denn wir hatten beim Friseur schon mehrere Male nebeneinander gesessen und die Illustrierten aus der Lesemappe getauscht. Kurtchen war noch nicht ganz vier Jahre alt, aber ein heller Bursche. Und Kurtchen war chic angezogen. Dunkelblaue wadenlange Hose mit Bügelfalte, weiße Söckchen, weiße Schuhe und ein blau-weiß-gelb kariertes sportliches Hemd. „Donnilowski“ sagte ich, „Jetzt habe ich aber einen schnieken Kavalier“ Kurtchen nickte sehr ernsthaft mit dem Kopf und meinte: “Du brauchst keine Angst zu haben, ich paß schon auf Dich auf!“ „Na, das beruhigt mich aber sehr!“ Ich wollte auch so ein tierisch ernstes Gesicht machen, aber dann mußte ich doch lachen. Da hatte ich mir aber sofort einen sehr strengen Blick eingefangen.

„Dauert es lange, bis Mamma wiederkommt?“ wollte er wissen. „Na, das kommt wohl darauf an, wie voll es ist!“ meinte ich. Ihm wurde es langweilig und er ging auf die Straße, lehnte sich gegen den Lattenzaun, ein Bein angewinkelt, und beobachtete die Fußgänger. Er hatte wieder diesen toternsten Gesichtsausdruck und brabbelte immer irgendein Wort vor sich hin. Ich konnte es nicht verstehen, aber immer hörte ich ein Ü. Die Straße war belebt, es gingen andauernd Leute vorbei, und jedes Mal sagte er mit leicht verächtlichem Ton:“Müsepü!“ Dann kam seine Mamma mit Tüten beladen zurück. Sie setzte sich zu mir und bestellte sich eine Tasse Kaffee. „War er artig?“ Fragte sie mich. „Doch ja, das war er!“ „Und was hast Du die ganze Zeit gemacht, Knäblein?“ fragte sie ihren Sohn.

„Ich hab‘ die Müsepüs beobachtet!“ Seine Mutter und ich blickten uns ratlos an. “Was denn um Himmelswillen ist ein Müsepü?“ fragten wir wie aus einem Munde. Abwechselnd sah er uns beide nachdenklich an, dann nickte er mir ernsthaft zu und sagte: “Du bist kein Müsepü, du bist eine Oma!“ Na Gottseidank, ich hatte schon die schlimmsten Befürchtungen. Aber seine Mutter? Es entzieht sich meiner Kenntnis, was die Beiden auf dem Heimweg noch bekaspert haben. Aber ich erwische mich mitunter, daß ich so einigen Leuten gerne mal sagen möchte: „Laß mich bloß zufrieden, Du Müsepü!“

 

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