Kurtchen, Kurtchen

Bei diesem Bäcker in Wilmersdorf gab es den besten Kuchen aller Zeiten. Auf dem Weg zum Friseur war ich schon öfter daran vorbeigegangen, aber endlich setzte ich mich auch mal, frisch gelockt, in den kleinen Vorgarten und bestellte ein Stück Pflaumenkuchen mit Sahne und ein Kännchen Kaffee, Also Vorgarten war ja nun charmant übertrieben. drei Tische mit jeweils drei Stühlen standen vor dem Schaufenster, allerdings von einem weißlackierten Lattenzaum beschützt, auf dessen beiden Seitenpfosten je eine Blumenschale mit einem hängenden Gewächs mit lila Blüten den Garten sozusagen repräsentierte. Eine rote Markise hielt die sengende Sonne ab.

Ganz in der Nähe gab es einen Supermarkt, und eine Mutti mit Kind, die gerade aus dem Bäckerladen kam, nickte mir freundlich zu und fragte, ob ich mal für eine halbe Stunde auf Kurtchen aufpassen würde, falls es meine Zeit erlaubt; sie würde gerne schnell mal einkaufen. Wir kannten uns vom Sehen, denn wir hatten beim Friseur schon mehrere Male nebeneinander gesessen und die Illustrierten aus der Lesemappe getauscht. Kurtchen war noch nicht ganz vier Jahre alt, aber ein heller Bursche. Und Kurtchen war chic angezogen. Dunkelblaue wadenlange Hose mit Bügelfalte, weiße Söckchen, weiße Schuhe und ein blau-weiß-gelb kariertes sportliches Hemd. „Donnilowski“ sagte ich, „Jetzt habe ich aber einen schnieken Kavalier“ Kurtchen nickte sehr ernsthaft mit dem Kopf und meinte: “Du brauchst keine Angst zu haben, ich paß schon auf Dich auf!“ „Na, das beruhigt mich aber sehr!“ Ich wollte auch so ein tierisch ernstes Gesicht machen, aber dann mußte ich doch lachen. Da hatte ich mir aber sofort einen sehr strengen Blick eingefangen.

„Dauert es lange, bis Mamma wiederkommt?“ wollte er wissen. „Na, das kommt wohl darauf an, wie voll es ist!“ meinte ich. Ihm wurde es langweilig und er ging auf die Straße, lehnte sich gegen den Lattenzaun, ein Bein angewinkelt, und beobachtete die Fußgänger. Er hatte wieder diesen toternsten Gesichtsausdruck und brabbelte immer irgendein Wort vor sich hin. Ich konnte es nicht verstehen, aber immer hörte ich ein Ü. Die Straße war belebt, es gingen andauernd Leute vorbei, und jedes Mal sagte er mit leicht verächtlichem Ton:“Müsepü!“ Dann kam seine Mamma mit Tüten beladen zurück. Sie setzte sich zu mir und bestellte sich eine Tasse Kaffee. „War er artig?“ Fragte sie mich. „Doch ja, das war er!“ „Und was hast Du die ganze Zeit gemacht, Knäblein?“ fragte sie ihren Sohn.

„Ich hab‘ die Müsepüs beobachtet!“ Seine Mutter und ich blickten uns ratlos an. “Was denn um Himmelswillen ist ein Müsepü?“ fragten wir wie aus einem Munde. Abwechselnd sah er uns beide nachdenklich an, dann nickte er mir ernsthaft zu und sagte :“Du bis kein Müsepü, du bist eine Oma!“ Na Gottseidank, ich hatte schon die schlimmsten Befürchtungen. Aber seine Mutter? Es entzieht sich meiner Kenntnis, was die Beiden auf dem Heimweg noch bekaspert haben. Aber ich erwische mich mitunter, daß ich so einigen Leuten gerne mal sagen möchte: „Laß mich bloß zufrieden, Du Müsepü!“

Berlin, den 16. Mai 2013/Lewi

Drama in der Nachmittagssonne

Drama in der Nachmittagssonne

Die Oma sitzt auf einer Bank am kleinen See gleich in der Nähe im Stadtpark. Sie hat die Einkaufstasche neben sich abgestellt und schaut lächelnd zu, wie die Kleinen mit ihren Dreirädern auf dem Gehweg in einem Affenzahn den See umrunden. Die Trauerweiden tauchen ihre Zweige ins Wasser, und die alten Bäume spenden Schatten auf den gepflegten Spazierwegen. Ein schöner neuer Rasen ist angelegt worden. An drei Stellen kommen zutraulich die Wasservögel an Land und werden von den Mamas und ihren Kleinen gefüttert. Sogar zwei Schwäne ziehen ihre Bahn und beobachten aufmerksam die Vorgänge in der winzig kleinen Bucht, in der auch ein roter Kahn schaukelt.

Die Enten sind gar nicht scheu und kommen auf den Gehweg bis an die Bänke heran, und manche fressen sogar aus der Hand. Erholung pur. Und es ist ruhig. Keine plärrende Musik, keine sausenden Radfahrer; manche Leute haben sich ein Buch oder eine Zeitung mitgebracht, lesen und genießen an einem Wochentag-Nachmittag das schöne Wetter und den Sonnenschein. Bißchen windig, aber Sonne und ca, 22 – 23 Grad, das hält man aus. Und es wird auch spät dunkel.Zur Oma gesellt sich ein Junge, so etwa 10 bis 11 Jahre alt. Er hat sich an der nahen Wurstbude eine Currywurst geholt. Mit Brötchen. Ab und zu wirft er ein paar kleine Brocken auf den Weg und schaut zu, wie die Enten aus dem Wasser auf den Rasen und dann auf den Weg kommen und sich gegenseitig die Brocken wegschnappen.

„Kannich noch ne Schrippe, Oma?“ „Haste denn noch Hunger, Junge? Wir essen ja bald. Heute gibttetdoch Grüne Bohnen. Hat Mamma jesacht. Und denn biste schon wieder vorher satt.“ „Oooch – eine Schrippe, Oma!“ Na, Oma rückt fünfzig Cent raus. „Komm aber gleich zurück, Ingo. Zu lange könnwa nich mehr bleiben“ Nun ist Ingo wieder mit der Schrippe da und gibt der Oma das restliche Kleingeld zurück. Das innere Weiße hat er schon aus der Schrippe herausgepuhlt. Und die äußere Hülle läßt sich schlecht zerkleinern. Für die Entchen. Zwanzig Enten für eine Schrippe und 200 Spatzen.

Die Enten haben sich wohl untereinander Bescheid gesagt und beeilen sich, und verteilen sich ungeordnet um die Bank. Na jedenfalls, der letzte Brocken war ziemlich groß, und den hatte sich blitzschnell ein Spatz geschnappt. Er wollte gerade damit abhauen, als eine Ente auf ihn losstürzte und ihm den Brocken aus dem Schnabel reissen wollte.  Sie riss ihren Schnabel besonders weit auf und stürzte sich auf den Spatz. Der ließ nich los und der Brocken mitsamt dem Kopf vom Spatz verschwand im Entenschnabel. Die Ente hatte nun sicher eine Maulsperre, d,h,, eine Schnabelsperre und wollte den Brocken samt dem Sperling wieder ausspucken, aber das ging nicht und sie schleuderte wie verrückt ihre Beute hin und her, um sie wieder los zu werden. Die Oma hob die Hände vor das Gesicht und lugte durch die gespreizten Finger, der Knabe erbleichte, und ein paar umstehende Fußgänger erstarrtren. Nur ein dreiradfahrender Knirps mit überhöhter Geschwindigleit raste durch das Geschehen und rief aus voller Kehle:
„Achtung, weg da – ich kommmmmäää!“

Inzwischen versuchten ein paar andere Enten, der Leidgeprüften den Brocken aus dem Schnabel zu ziehen, aber das ging nicht, weil der Spatz dran hing. Und ein paar Spatzen versuchen, den Brocken zu ergattern, aber das ging nich, weil der Spatz dran hing. Bis die Ente dann noch mal wie in einem Wutanfall ihren Kopf hin und her schleuderte, und der Spatz in hohem Bogen mitsamt dem Brocken durch die Luft sauste und beinahe ins Wasser fiel. Diese ganze Szene wurde durch ein ohrenbetäubendes Spatzenkonzwert untermalt, während sich die Enten in disziplinierter Ruhe verhielten und das taten, was sie sonst auch taten, sie schwammen ein bisßen herum und bißchen guckten sie zu, bevor sie sich wieder ins Wasser begaben. Der Spatz hatte bestimmt eine Gehirnerschütterung. Aber die Zuschauer, Ingo, die Omma und die Rentner mit der Zeitung und die anderen Leute, die auf den benachbarten Bänken saßen und das Drame miterlebten, waren doch teilweise ziemlich blaß im Gesicht. „Loß Junge, komm nachhause“ sagte Ingos Oma. „Kannich noch ne Schrippe? Ich hab ja kaum was abgekommen!“ fragte Ingo.

„Vorläufich isset aus mit Schrippe. Und jetz komm. Die grünen Bohnen werden sonst kalt.“ „Bäh“ machte der Knabe.

Berlin, den 12, 6. 2013/Lewi

Laß dir bloß nicht wieder was vom Pferd erzählen…

Soll heißen: Fall nicht rein auf das, was sie dir da weismachen wollen. Das war nämlich so: Vor einigen Jahren siedelte eine mir bekannte Familie sich in einer Ödnis in Schleswig-Holstein an, um dem Großstadtrummel zu entfliehen. Nach einigen Jahren entfloh sie aber der Ödnis und zog nach Hamburg, was ja nicht unbedingt ein ruhiges Leben versprach. Aber immerhin….

Nun geschah es, daß ich ganz zufällig auf einer Heimreise mit Bekannten in einem kleinen Ort nicht allzu weit weg von Kappeln an der Schlei in einem Gasthof übernachtete, und da es zeitig dunkel wurde und auch ziemlich ungemütlich war, denn die Regenböen rauschten unentwegt über die Fensterscheiben, man sich noch zu einem gemütlichen Beisammensein mit den übrigen Gästen und Einheimischen zusammenfand. Plötzlich nannte Jemand den Namen des kleinen Ortes, der mir bekannt vorkam. So nahm ich meine Tasche und setzte mich wie zufällig ganz nahe zu diesem Kreis, und da niemand von mir Notiz nahm setzte ich mich kurzerhand dazu.

„Jau, dat ist ja schon ziemlich lange her. Da hatte der Friedrich Kallweit, ihr wißt doch, dieser Heimatvertriebene und seine Mutter, von dem Bauern Simmeler das kleine Haus gemietet mit dem Schuppen und dem Garten hinter dem Haus. Da hielten Sie Hühner und Ziegen. Und der Frieder verkaufte die Eier und 1A Suppenhühner, auch mal Hähnchen. Die olle Mutter Kallweit machte einen hervorragenden Ziegenkäse und schlachtete die Hühner. Frieder ist ein kluger Mensch und sehr angesehen. Naja,Nu isser ja auch schon alt und die Mutter lebt nicht mehr. Aber das komische war ja, daß der Jan Bickler auch Eier verkaufte. Meist in den umliegenden Orten. Nur wenige Bauern halten noch Hühner. Der Bickeljan hat einen großen Garten mit einer riesigen Wiese und Obstbäumen. Dann fuhr er mit seinem Dreirad durch die Orte und brachte die Eier an den Mann. Aber Hühner konnte man bei ihm nicht kaufen. Mit der Zeit hatte er so viele Hühner, daß sie ihm schon immer mal ausbüxsten. Und durch einen dummen Zufall kam es dann heraus, das Bickeljan keine Blut sehen kann. Dann wurde ihm schwarz vor Augen und: Bumm. Lag er bewußtlos am Erdboden. So ein großer kräftiger Mensch und so‘ne Zimperliese. Tja..“

„Na jedenfalls“ setzte der nächste Gast die Rede fort, „es verging ja eine lange Zeit, und Bickeljans Hühner bildeten einen Gesprächsstoff. Dann kam eines Tages die Schwiegermutter von dem neuen Dorfbewohner zu Besuch. Der Bickeljan verkaufte seine Eier, und da er ja ein unterhaltsamer Bursche war, unterhielt er sich immer mit der Schwiegermutter, solange.bis er seinen Kaffee ausgetrunken hatte. Und diese Schwiegermutter machte täglich lange Spaziergänge. Dann ging sie auf dem Rückweg bei Jan vorbei, trank Kaffee, erzählte ihm was und beendete die Unterhaltung meistens, besser gesagt immer mit den Worten: Ab morgen (werde ich, mache ich, könnte ich, würde ich-) und so weiter. Offensichtlich hat aber nichts davon geklappt, denn es blieb bei dem Versprechen: aber ab morgen…..“

Nachdem noch eine weitere Runde Bier auf dem Tisch stand, ergriff ein etwas hagerer Herr nun das Wort und nuckelte ständig an einer kalt gewordenen Tabakpfeife. „PPff..“ Jaja, das war so. Ich erinnere mich dunkel. Auf einmal konnte man bei Jan Hühner bekommen. Es sprach sich schnell herum, daß sie von ausgezeichneter Qualität waren.. Ppff– Ppff.. Das müssen ja unwahrscheinlich glückliche Hühner gewesen sein.!“ Dann zog er ein bißchen die Nase hoch und schüttelte mißbilligend den Kopf. „Es war doch so“ warf der erste Erzähler ein, „daß Jan und die Schwiegermutter eine Beobachtung machten.“ „Eine Beobachtung. So!“ „Ja, So!“ „Und was soll das gewesen sein?“ “Nun, es fiel das seltsame Verhalten der Hühner auf, sie machten komische Bewegungen, stießen seltsame Laute aus, versuchten wie ein Hahn zu krähen und dann stanpften sie mit den Füßen auf, drehten sich im Kreise und fielen tot um. it offenen Augen und offenem Schnabel.!“ „Ja und? Was hatte das zu bedeuten?“ „Wissen Sie es nicht?“ „Natürlich nicht, ich bin ja kein Hühnerexperte.“

„Es war doch so“ sagte ein weiterer Gast, daß die Schwiegermütter auf dem Rückweg beim Jan saß am Tisch draußen vor der Küchentür, und da tranken sie dann Kaffee und unterhielten sich, und die Hühner liefen gemütlich herum. Und wenn die Schwiegermutter sich dann auf den Heimweg machte, der doch nur ein paar Grundstücke weiter war, verabschiedete sie sich vom Jan. „Und das sage ich dir, Jan – ab morgen nehme ich eine Regenjacke mit. Oder „Gute Nacht Jan. Ab morgen esse ich nicht mehr so spät Abendbrot- Oder „Ab morgen gehe ich nicht mehr durch den hinteren Waldweg.“ „Ja und?“ „Ja, was denn na und! Verstehen Sie denn nicht? Die Hühner haben sich totgelacht. Jedesmal ab morgen. Da lachen ja die Hühner. Diese Hühner hatten ja nun täglich was zu lachen. Dank der Schwiegermutter. Das hält ja kein Huhn aus. Und deshalb – die Hühner hatten einen glücklichen Tod- Sie haben sich totgelacht“

Die Runde hatte sich zu vorgerückter Runde wortlos aufgelöst. „Glauben Sie denn so etwas?“ Sprach mich eine ältere Dame an. „Ich weiß nicht.Ab morgen gehe ich früher ins Bett.“ Sie sah mich entsetzt an? „Was ist denn?“ fragte ich ein bißchen grob.“ Es sind doch keine Hühner hier!“

Eines schickt sich nicht für alle

Nach dem Kriege hatte es uns eine Weile durch die Bezirke gescheucht, bis wir dann in  reuzberg landeten und da auch eine Weile gewohnt hatten. Man gewöhnt sich an alles, und so schlimm war es gar nicht, denn da wohnten eine Menge ziemlich nette Leute und auch alles noch Berliner. Ur – zum Teil. Und da wußte man auch immer gleich, um was es geht und woran man ist. Alles war ja auch nicht so gut, aber das lag nicht an Kreuzberg, sondern an den zum Teil noch ziemlich verkleisterten Ansichten, die sich erst in späteren Jahren allgemein gelockert hatten. Aber sonst…..!

Zur Zeit der folgenden Geschichte hatte ich einen Bruder, und der Bruder wohnte auch bei uns zuhause und hatte ein Auto. Und das ist wichtig, weil man sich da doch teilweise etwas xuriöser und auch bequemer fortbewegen kann. Von einem Ort zum anderen, sozusagen. Wovon wir ja auch sehr gerne und relativ oft Gebrauch gemacht hatten. Und nicht zu verachten, der Neid der autolosen Mitmenschen. Je nach Charakter, Neid oder Bewunderung. Letzteres kam aber nicht allzu oft vor. Aber es kam…

Unser Vater war tot, unsere Mutter führte das Regiment mit eiserner Energie (ich habe dir ja schon immer gesagt – wie oft soll ich das denn noch sagen – hättest du lieber gleich auf mich gehört – zu meiner Zeit war alles ganz anders – das hätten WIR uns nicht erlauben dürfen), mein Bruder hatte trotzdem seine Lehre beendet und hatte einen Führerschein und einen Opel, und ich hatte zwei kleine Kinder. Na jedenfalls, an einem schönen Sonntagmorgen entschlossen wir uns, ins Bad am Columbiadamm zu fahren. Zu dieser Zeit muß aber das Wetter noch von der entsprechend zuständigen Stelle ordnungsgemäß nach Jahreszeiten auf uns gekommen sein, denn es war Juli, sonnig und heiß, und das sogar über längere Zeiträume hinweg, wie es sich eben so gehört. Sommer ist Sommer hieß die Devise, und man konnte oft nachts nicht schlafen, weil es trotz geöffnetem Fenster so heiß war. Meistens lag man unbekleidet nur auf der Matratze und deckte sich mit dem Laken zu, und das empfand man schon als eine Last. Nun ja. Damals war‘s….!

Ich hatte schon einen leichten Sonnenbrand und saß auf dem Rand des Beckens, und mein  ruder zog eine Bahn um die andere, und bevor er wieder wendete, sagte er bewundernd: Du hast ja eine Haut wie eine Spanierin. Na, das ging runter wie öl, denn ich bin hellhäutig und neige zu Sommersprossen. Ich nahm die Sonnenbrille ab, damit ich nun gut im gleißenden Sonnenlicht meine unerwartete Schönheit bewundern konnte, aber als der Schwimmer wieder auftauchte und mich ansah, sagte er leicht abfällig: deine Augen sehen ja aus wie Zwiebeln. „Wie Zwiebeln????“ „Ja, gelb!“

Also machten wir uns langsam auf den Heimweg, denn ich hatte eine Gelbsucht bekommen. Nix mit Spanierin, obwohl mein goldenes Blondhaar inzwischen schwarz gefärbt war, denn mein Bruder wurde Friseur und ich war sein Modell bei Schaufrisieren und bei Lehrgängen in den  nschlägigen Firmen, die die einzelnen Produkte herstellten, mit denen man die Verwandlungen mit Erfolg herstellen konnte.

Unsere Mutter nahm Abweichungen vom gewöhnlichen Zeitablauf immer sehr ungehalten auf und nachdem sie sich nun von meinem Aussehen überzeugt hatte, ging sie in die Küche und sprach mit sich selbst: “Daß das nun wieder hat kommen müssen, als ob man nicht schon enug durchgemacht hat. Ich habe doch wieder das ganze Leid zu tragen.“ Insofern hatten wir es  igentlich sehr gut zuhause. Wir hörten uns immer geduldig die Vorträge an und lebten unser Leben und keiner von uns beiden trug das Leid, das trug Mama.

Nachdem am Montagmorgen die Nachbarin und die Frau in der Reinigung von allem nterrichtet wurden, welche „Päckchen“ meine Mutter nun wieder zu tragen hatte, kam sie mit der Anschrift eines guten Arztes in der Wrangelstraße an mein Bett und scheuchte mich, denselben sofort aufzusuchen. Was ich auch folgsam tat, nicht ohne vorher mein Bübchen im Kindergarten abzuliefern. Der Arzt war nett, jung und gut aussehend und ein wohltuend ruhiger Typ. Seine Helferin war bereits in den Fünfzigern und machte einen ziemlich resoluten Eindruck. Man konnte beinahe meinen, sie hätte ihn unter der Fuchtel.

Also, ich hatte eine Gelbsucht, bekam ein paar Anweisungen und ein Rezept, und mußte alle Vorschriften genau und gewissenhaft befolgen. Ja mache ich. Und in vierzehn Tagen iederkommen. Und der Doktor meinte auch, ich solle mal lieber die Sonnenbrille auflassen, denn ich sehe furchterregend aus. Also, von Spanierin nicht einen Mucks.

Nach vierzehn Tagen machte ich mich wieder auf zum Arzt, diesmal mit weißen Augen ohne Sonnenbrille. Aber, wer will das heutzutage noch glauben! Es war noch immer Sommer und ich trug ein luftiges Kleid und Riemchensandalen. Und hatte meinen kleinen Sohn dabei. Na, die Schwester war begeistet und scherzte mit dem Knaben. Damals waren die Wartezimmer auch noch nicht so gerappelt voll. Anscheinend waren die Leute durch die sparsamen Jahre gesünder. Nicht so vollgefressen und nervös und überfordert.

Die alten Häuser trugen auch noch viele Narben vom Krieg, und öft waren sie ziemlch baufällig und beschädigt. Am Haus vom Doktor fehlte stellenweise der Putz und auch sonst war es eine ziemliche Bruchbude, wie viele Häuser in dieser Straße und überhaupt in dieser ganzen Gegend. In der ersten Etage, am Sprechzimmer des Arztes, gab es eine kleinen baufälligen Balkon mit einem schönen Eisengeländer. Von der Unterseite des Balkons fiel schon gelegentlch den Passanten mal ein bißchen Putz auf den Kopf. Eine Doppeltür führte vom Sprechzimmer des Arztes auf den Balkon, und jetzt im Sommer stand die Tür immer offen, damit frische Luft hereinkam. Na, frisch war sie nun gerade nicht, und riechen tat sie auch nicht besonders gut.

Ich bekam noch ein Rezept, ein paar gute Ratschläge und Verhaltensmaßregeln, und da riß sich mein Knabe von der Hand und flitzte auf den Balkon und rüttelte ein bißchem am Gelänter. Die Schwester erbleichte, riß die Hände vor‘s Gesicht und rief mit erstickter Stimme “Kind, Kind – komm sofort zurück. Der Balkon steht unter Absturzgefahr!“ Das Kind kam brav zurück. Aber nun erbleichte der Doktor. „Schwester, ich stehe jeden Mittag auf dem Balkon und rauche meine Zigarette. Das haben Sie mir noch nie gesagt.“ „Sie sind ja auch erwachsen!“ gab sie ihm ziemlich patzig zur Antwort

Die Praxis befand sich in der ersten Etage. Also, ganz so schlecht waren die Chancen nicht…! Und das Bethanien-Krankenhaus nur einen Steinwurf entfernt…!

Herzlichst eingeladen…

Arnold wurde übermorgen vierzig. „Du bist herzlichst eingeladen“ ließ mich seine angetraute Eheliebste wissen. Na ja, in schöner Regelmäßigkeit wiederholte sich dieser Geburtstag Jahr um Jahr, und ich überlegte, was ich diesmal für ein Geschenk mitnehmen würde. Die Frage erübrigte sich eigentlich von selbst, es handelte sich nämlich stets um etwas Alkoholisches. Nur: welche Sorte?

Inzwischen war es Übermorgen geworden, und ich hatte einen guten Himbeergeist besorgt. Gerade wollte ich mich auf den Weg machen, als der Anruf kam. „Wir treffen uns gegen 16 Uhr auf dem Parkplatz Priesterweg, denn wir feiern diesmal bei Arnolds Kollegen Heini, der hat heute auch Geburtstag. „Was ist denn das für ein Heini?“ wollte ich wissen. Na, der Heinrich Kasperke, den hast Du bei uns bestimmt auch schon mal gesehen, der mit der schwarzhaarigen Frau, Britta, die mit dem tollen Rezept für Rhabarberkuchen!“ „Ach was! Hatten die nicht auch einen Hund?“ „Jaja, aber den mußten sie leider einschläfern lassen. Jetzt haben sie einen Papagei!“ „Was du nichts sagst. Und, sagt der was?“ „Das weiß ich doch nicht, ich habe ja mit denen auch nicht so einen engen Kontakt!“ „Nicht?“

Na, ich wickelte das Geschenkpapier um die Flasche und machte mich auf den Weg. Auf dem Parkplatz am Priesterweg parkte der Opel. Ich durfte nach vorne zur Wagenlenkerin, Melitta. Auf dem Rücksitz hatte sich das Geburtstagskind schon etwas lässig ausgestreckt und gab sich Mühe, mit dem Ellbogen nicht in der Schüssel mit dem Kartoffelsalat zu landen. „Nnna, Du f-flotte Bie-biene, was haste denn für mich mmmit-jebracht, Fusel?“ „Arnold“ kam scharf und befehlend ein Ausruf von Melitta. Ein leichtes Grauen befiel mich bereits und ich suchte krampfhaft nach einem Ausweg, um irgendwie zu türmen. Aber da waren wir schon fast in Lichterfelde angekommen und hatten auch im Gardeschützenweg einen Parkplatz gefunden. Melitta trug die Schüssel mit Salat und Arnold stimmte ein frohes Liedchen an und wollte mir scherzhaft schon sein Geburtstagsgeschenk entreißen.

Es war angenehm warm und ein leises Lüftchen wehte. „Das ist der Früüüh-ling, das ist der Früüüh-ling, das ist der Frü -hü-hüling von Berlin ließ sich Arnolds Stimme weitgehend vernehmen, und anschließend mit kraftvollem Umba-Umba-Umba- Täteräh zogen wir in die Parterrewohnung bei Kasperkes ein, wo schon ein paar Kollegen und ein paar ernstblickende ältere Familienmitglieder erwartungsvoll am Kaffeetisch saßen. Auf mich machten sie einen verängstigten Eindruck. Zumindest die Familienangehörigen. Denn mit täterä, täterä, täterätetätätä fielen sich die beiden Geburtstagskinder freudig um den Hals, wobei der Gummibaum umfiel. Die schwarzhaarige Frau Britta hatte selbstredend auch einen Rhabarberkuchen gebacken, und dann auch noch einen klassischen Napfkuchen. Mit Rosinen. „Die Popel essick abanich“ ließ sich Arnolds Nichte Nicole sogleich vernehmen. Es kam noch ein weiterer Kollege mit Gattin und zwölfjährigem Sohn, Bertram und Isolde Kettler und ihr Ableger Rudolf. „Rudilein, guck mal, Käsekuchen. Den magst du doch sooo gerne“ beeilte sich Melitta, ihre hausfraulichen Talente hervorzuheben.

Nach dem friedfertigen Kaffeeklatsch beschlossen die Geburtstagskinder und noch weitere männliche Gäste, die mitgebrachte Alkoholika zunächst mal zu probieren. Also probierten sie, und zwischenzeitlich wurde auch mal eine Dame zum Tanzen aufgefordert. Im Hintergrund des geräumigen Zimmers hatte man einen Tapeziertisch aufgebaut, auf dem inzwischen schon mal die Schüsseln und Teller für das abendliche kalte Buffet angeordnet waren. Die Stereoanlage dröhnte, die Männer grölten, die Frauen quietschten, die Kinder motzten. Ich versuchte mich zu orientieren, wie ich mich unauffällig aus diesem Chaos entfernen könnte. Der Geräuschpegel stieg. Es wurde temperamentvoll getanzt. Arnold hatte Frau Sternke gepackt, die Buchhalterin aus seiner Firma. Er schwang sie temperamentvoll durch das Zimmer, und da sie eine zierliche Person war, hob er sie kraftvoll in die Höhe und setzte sie mit einem herzhaften Juchzer in den Kartoffelsalat.

Angesteckt von dem fröhliche Treiben hauten sich die Kinder die noch kaltern Bockwürstchen auf die Köpfe, und die Schwiegermutter suchte ihre Handtasche und ihren Gatten und den Ausgang aus diesem Tohuwabohu. Ich hatte mich in die Küche verkrümelt und fragte, ob ich was helfen könne. Hoffentlich sagt sie nicht ja, die Hausfrau, dachte ich. Aber sie lehnte mürrisch ab. „Mir reichts!“ sagte sie wütend.

Dann sah ich Melitta, ihren Arnold trotz jeden Widerspruchs nach draußen schieben und schloß mich schnellstens an. Er war wohl schon kurz vorm Delirium. Wie eine Rakete schoß er auf den Opel zu, erwischte die davorstehende Laterne, an der er Halt fand und drehte sich wohl 20 mal im Kreise, während seine Gattin die hintere Türe öffnete und mit einem letzen Schwung fiel er auf die Rückbank. „Steig ein“ sagte Melitta und öffnete mir die Vordertür. „Ach danke“, sagte ich, “ich muß noch ein bißchen frische Luft schnappen und ein Stückchen laufen. Die S-Bahn fährt ja auch noch.“

Geburtstage sind mir inzwischen ein Greuel.
Wenn man es vermeiden kann….