Telefon

IN SOLCHEM KLEINEN MEHRZWECKHÄUSCHEN

verbracht‘ so mancher Mensch ein Päuschen;
es grollt der Donner und es zucken Blitze.
Man hat doch keinen Schirm und keine Mütze,
da flüchtet man hinein ins kleine Haus.
Hört‘s auf zu regnen kommt man wieder raus.
Und vorteilhaft; man ruft zuhause an:
„ich komme mit der letzten Straßenbahn.“

Zwei kleine Anekdoten um das Telefonhäuschen:

KARIN
Es ist bestimmt über fünfzig Jahre her, und da stand wirklich alle paar Straßen weiter eine gelbe Telefonzelle, denn ein ganz gewöhnlicher Mieter hatte kaum ein Telefon und wenn er eines beantragt hatte, so mußte er auch über große Geduld verfügen, bis er eines bekam. Und so bildete sich schon hin und wieder eine Schlange, und voller Ungeduld wurde der augenblickliche Telefonbenutzer dann
herausgetrommelt. Der Mensch hatte vor einer besetzen Telefonzelle alle Möglichkeiten, seinen umfangreichen Sprachschatz einzusetzen, bis der Nächste
an die Reihe kam, um dann den weiterhin Wartenden ebenso lästig zu werden und dann ging das Spiel von neuem los.
An einem schönen Sonntag ging ich zur Telefonzelle in der Wiener Straße.
Ein ruhiger Sonntagnachmittag im warmen Sonnenshein, keine Fußgänger, kein Straßenverkehr, die Geschäfte geschlossen. Nur bei der Eisdiele hängt die Fahne raus, und die Kneipe an der nächsten Ecke hatte geöffnet.

Ein Telefongespräch kostete zwei Groschen. Ich halte ein Taschentuch und drei Groschen in der Hand. Bevor ich die Telefonzelle erreicht habe, kommt atemlos ein kleines Mädchen hinter mir hergerannt. „Tante Hilla, Tante Hilla, wo jehst‘n hin?“ Karin. Zille hätte sich gefreut. Eine echte Berliner Göre. Ein bißchen spillerich, wie man hier sagt, Sommersprossen auf der Stupsnase, blonde Strubbelhaare und ab und zu auch mal ne Rotznase. „Telefonieren.“ „Kannick mitkomm‘? „Ja klar, komm mit.“ Wir drängeln uns beide in die Telefonzelle.
„Tante Hilla, haste n‘ Jroschen für‘n Eis?“ „Hast du doch schon heute vormittag von mir bekommen“ „Abers jetz is ja Nachmittag.“ „Stimmt.“ Ich wähle. Zwei Groschen sind nun im Fernsprechapparat, einer verbleibt in meiner Hand.
„Tante Hillaaaa, nu jib mir doch den een Jroschen, den brauchste ja nich. Warum hst‘n den übahaupt mitjenomm?“ „weil manchmal einer durchfällt. Als Ersatz, weißte!“ „Ach so.“ Karin hat sich abgefunden, Tante Hilla ist beinhart. Ich bekomme keinen Anschluß, es ist fortlaufend besetzt. Ich nehme nun die zwei ungenutzen Münzen wieder an mich und Karin ist bißchen traurig, weil: mit Eis is nix. Dann bin ich schon beinahe an der nächsten Straßenecke, da kommt die kleine Windsbraut atemlos mit groß aufgerissen Augen hinter mir hergerannt.

„Tante Hilla, warum is denn der Jroschen (waren aber zwei) wieder rausjefallen?“
„Weil niemand da war.!“ „Ach so.“ (Eis ist nun kein Thema mehr.)
Als ich fast an meiner Haustür bin, kommt Karin atemlos keuchend und wirklich fassungslos mit aufgerissenen Augen angerannt. Muß erst mal Luft holen das Kind.
„Tante Hilla, Tante Hilla! Woher weeß denn der Groschen det keener da is ?“

Die gute Tante hat dem Kind die drei Groschen gegeben und sich lachend die Erklärung gespart. Damals hatte eine Eiswaffel noch zehn Pfennig gekostet, eine doppelte kostete zwanzig Pfennige,Und eine Muschel kostete dreißig Pfennig. Die war zum Schluß total aufgeweicht, und man hatte klebrige Finger.

ALAN
Aus Hamburg hatte meine Tochter eine Freund mitgebracht, Alan, denn Schotten.
Er hatte nur kurze Zeit in Hamburg verbracht und als er so ungefähr drei Wochen in Berlin war, sprach er schon eine Menge deutsch und konnte sich ausdrücken. Dann bekam er sogar eine kleine Wohnung und fand Arbeit und beantragte einen Telefonanschluß. Das waren damals oft endlose Wartezeiten. Dann rief er mich an.“Alan, hast du etwa schon Telefon?“ „Nein“ sagt er. „ Ich stehe hier in ein kleines gelbes Schrank und rufe dich an!“

21.09.2012/LEWI

Das ist ja wirklich kaum zu glauben

Dieses Bild von ©Buntscheck hat mich zu dieser sonderbaren Geschichte inspiriert. Zur Hompage von Buntscheck bitte auf das Bild klicken.

Wenn man sich von hier aus ziemlich weit in eine ganz bestimmte Richtung begibt, so kann man bei klarem Wetter schon weit in der Ferne ein hohes Gebirge erkennen. Und vorgelagert sieht man eine große Ebene, die so flach ist wie ein Stullenbrettchen. Wäre man ein Vogel, so könnte man von oben die ganze Weite überblicken und mit Verwunderung feststellen, daß es dort drei kleine Städte gab, die vollkommen gleich gebaut waren, nur daß jede Stadt in einer anderen Farbe die Landschaft belebte. Es gab die blaue, die weiße und die gelbe Stadt. Jede Stadt hatte auch die gleiche Kirche, aber jede Stadt hatte einen anderen Kirchturm. Die blaue Stadt zum Beispiel hatte einen runden Kirchturm, an dessen Spitze eine große goldene Kugel das Sonnenlicht in alle möglichen Winkel streute. Die gelbe Stadt hatte einen viereckigen Kirchturm, und auf dessen Spitze gab es auf einer goldenen Scheibe einen goldenen Würfel, in dem die Vertiefungen, die die Augen des Würfels symbolisierten, mit Rubinen ausgefüllt waren. Die Sonne zauberte die interessantesten Beleuchtungseffekte und die Bürger der gelben Stadt waren sehr entzückt, daß ein Baumeister einstmals solche guten Einfälle gehabt hatte. Der Würfel stand hochkant auf der Ecke, so daß man, wenn starker Sturm war, schon mal befürchtete, er könne herabfallen. Das tat er aber nicht. Jedenfalls tat er es bisher nicht.

In der weißen Stadt nun gab es die Kirche mit dem spitzen Turm. Der spitze Turm war aus Lapislazuli, und manche Leute sagten, er sähe aus wie eine Zuckertüte. Denn in früheren Jahren konnte man noch beim Kaufmann ein halbes Pfund Zucker kaufen, und das wurde abgewogen und in eine blaue spitze Tüte gefüllt. Rundum nun in diesen Kegel waren Vertiefungen eingeschnitten, die mit Gold ausgefüllt waren und ein Heer von Sternen zum schimmern brachten, wenn nachts der Mond darauf schien. So daß man fast sagen konnte, bei Mondenschein schimmere im Umkreis alles taghell.

Aufgereiht wie auf einer Schnur lagen die drei Städte nebeneinander, und mit einer großen breiten Straße waren sie miteinander verbunden, Man muß nicht besonders erwähnen, daß ein reger Austausch zwischen den Städten stattfand, und der Einfachheit halber sprach man eben von den Bewohnern nur von den Gelben, den Blauen und den Weißen. Ungefähr nach einer halben Tagesreise Entfernung, in gemütlichem Trott versteht sich, stieß man auf das Schloß, in welchem der König dieses kleinen Reiches mit seiner Familie wohnte. Die Straße zum Schloß ging schnurstracks von der gelben Stadt aus, die ja in der Mitte lag und von da aus erreichte man die Residenz am schnellsten. Von der blauen und von der weißen Stadt aus gesehen dauerte es natürlich einige Zeit länger, aber das machte ja nicht so viel aus. Es reichte, wenn man sich ein paar Butterbrote und ein bißchen Obst oder eine Flasche Saft mitnahm.

Der König war ein feingliedriger, zierlicher Mann und für seinen, na sagen wir mal Beruf, viel zu mitfühlend und empfindsam. Es widerstrebte ihm auch, den Untertanen harte Gesetze zuzumuten oder anders geartete Sorgen aufzubürden. Die Königin war da viel strenger und ließ nicht locker, so daß sie, wahrscheinlich viel zu oft, sagte: los, Machdas. So war allmählich der wirkliche Name des Königs total in Vergessenheit geraten und mit der Zeit wurde aus ihm König Machdas der Erste. Da aber, und das kann man ja in der Weltgeschichte ganz leicht nachprüfen, kaum ein König nur einen einzigen Namen hat, so hieß er inzwischen Kannich-Machdas; und das war ja nun auch gar nicht so verkehrt. Denn immer wenn er mit einer königlichen Aufgabe nicht zurande kam, sagte er traurig: Kannich, und die Königin sagte darauf auch sofort ernergisch: los, Machdas!

Eigentlich war es ja auch ein Segen, daß der König und seine Gemahlin nur eine einzige Tochter hatten. Mit mehreren Kindern wäre die Königin auch total überfordert gewesen, da sie ihre ganze Aufmerksamkeit ihrem Gemahl widmen und ständig aufpassen mußte, daß er nach Möglichkeit immer das Richtige tat. Und das tat er ja, denn so wie sie sagte, los Machdas, machte er es ja auch. Bisher war es doch nicht ganz verkehrt gewesen. Die Bürger jedenfalls dieses kleinen Ländles, die Weigelblauer, waren bisher mit ihrem Dasein ganz zufrieden.

Christelingelorettaanna, Die Prinzessin und Thronerbin hatte einen Namen nach verschiedenenVorfahrinnen bekommen, den kein Schwein aussprechen konnte. Aber dafür war er ja auch nicht gedacht. Der Einfachheit halber sagte man von frühester Kindheit an: Kind! und je nachdem: Kind, Kind! Im besonderen Härtefall aber auch sehr energisch KIND!!! Die Königin hatte es wohl nicht ganz so leicht mit dieser eigenwilligen kleinen Person, denn sehr oft mußte sie sie zur Ordnung rufen. Zum Beispiel: „Sitz gerade!“ und was antwortet diese kleine Teufelin? „Willnich!“ „Iß deine Suppe “ „Willnich!“ „Hast du dir den Hals gewaschen?“ „Willnich!“ „Hast du dein Nachtgebet gesprochen?“ „Willnich!“ „Ach, das ist ein Kreuz mit dir“ ägerte sich die Königin, und dann mußte sie ganz energisch jede Anordnung noch einmal wiederholen und die Ausführung auch kontrollieren. „Tu es!“ sagte sie dann. Aber ganz lieb und freundlich, und dann klappte es in den meisten Fällen. So hatte nun auch diese Prinzessin, genauso wie unzählige Prinzessinnen auf der Welt, ihren Doppelnamen bekommen, und ihr Taufname war inzwischen längst in Vergessenheit geraten. Willnich-Tues, oder Tues-Willnich. Die Eltern stritten sich bisweilen. Man konnte sich eben nicht so recht entscheiden.

Hin und wieder ritt der König zusammen mit seiner Tochter ein bißchen in der Gegend herum, um die Pferde zu bewegen. Dann traf man natürlich auch auf einige Untertanen, die grüßend ihre Kopfbedeckungen lüpften und im Chor “Gott segne Sie, königliche Hoheit, und ebenso die kleine Prinzessin!“ sprachen. Dann dankte der König mit einem freundlichen Kopfnicken und winkte jovial nach allen Richtungen. Selbst in die, wo gar kein Untertan zu sehen war. ,Besser ist besser‘ dachte er, denn die Aufforderung seiner Gemahlin klang stets in ihm nach. „Los, Machdas!“

Eines Tages hatte sich ein Fremder an den Hof des König verirrt. Da es schon Abend und deshalb auch ziemlich dunkel war, bat der Fremde um Aufnahme, etwas zu essen und ein Nachtlager. Er hatte bereits einen langen Fußweg hinter sich, war erschöpft und hungrig. „Kümmert euch um den armen Kerl“ ordnete der König an, befahl dem Haushofmeister, dafür zu sorgen, daß es dem Gast an nichts fehle und ging dann in sein kleines Kabinett, um sich seine Briefmarkensammlung anzusehen. Die war ganz besonders kostbar, weil ja Briefe mit Briefmarken darauf ihn so gut wie nie erreichten, sondern immer nur, oder jedenfalls größtenteils, per Brieftaube oder reitenden Boten. Man darf ja nicht vergessen, daß es doch nur ein kleines Land mit drei kleinen Städten war. Und die, wie man ja inzwischen erfahren hatte, alle drei gleich groß und nach dem selben Stadtplan gebaut waren.

Der König und die Königin Mußichdennimmerallesalleinemachen saßen bereits am Frühstückstisch. Die Könnigin hatte einen besonders langen Namen, weil sie sich auch für besonders viele Dinge verantwortlich fühlte. Einmal schon, um ihre kleine Familie zu schützen und dann noch die ganze Verantwortung für den königlichen Haushalt. Für all diese Aufgaben war ja ihr Name noch viel zu kurz. Der Haushofmeister bat nun auch noch um eine Audienz, und da sagte der König kurz und bündig, „nehmt Platz und setzt euch, Haushofmeister, und frühstückt mit uns zusammen. Wir werden eine Lösung finden.“ Der Haushofmeister Ichkannjanichalleswissen nahm sich ein Käsebrötchen und ließ sich von der Küchenmamsell Kakao in eine große Tasse gießen. „Langt nur tüchtig zu Haushofmeister“ sagte die Königin, und „Guten Appetit Frau Königin“ antwortete er mit vollen Backen, denn er hatte einen ziemlich großen Happen vom Käsebrötchen abgebissen. Die Prinzessin saß am unteren Ende des Tisches zusammen mit ihrem Lieblingsgespielen, dem Hofnarr Wasfragstemichdenn und beide überlegten, was sie heute Wichtiges zu tun hätten, um einen geordneten Tagesablauf zu garantieren. Denn außer dem Stallmeister, Herrn Augustin, hatten Wasfragstemichdenn und die Prinzessin auch einen Teil der Verantwortung zu tragen, damit ein geordneter Tagesablauf garantiert wurde. Sie hatten sich um ein Teil der Tiere zu sorgen. Der Sekretär des Königs, Warumdennimmerich. hatte sich inzwischen auch eingefunden und schielte auf die große Platte, ob er da noch ein Käsebrötchen ergattern konnte, bevor der Haushofmeister auch noch das letzte verschlingen würde.

Man wird sich natürlich sehr über die eigenartigen Namen wundern, die die Leute an diesem Königshof führten, beziehungsweise, wieso es in diesem Lande üblich war, so lange Namen zu haben. Nun, das lag an der Übersetzung, denn in der Landessprache waren die Namen natürlich bedeutend kürzer, aber da hätte doch kein Mensch gewußt, um wen es sich handelt und was der Name zu bedeuten hat. Zum Beispiel Koliko, Mabalu, Tikubo, Jujapile; wer sollte denn da wirklich Bescheid wissen. Keiner. Ist doch ganz klar. Denn es gab ja selbst in den größeren Bibliotheken keine richtigen Wörterbücher, mit deren Hilfe man diese eigenartige Sprache übersetzen konnte. Nach einer gemütlichen Stunde am Frühstückstisch sagte der König zu seiner Gemahlin Mußichdennimmerallesalleinemachen, die er wegen der Länge des namens einmal Mußichdennimmer oder auch immerallesalleine rief: „meine Liebe, hatten wir denn nicht einen Gast?“

Bei den Ställen waren die Prinzessin und der Hofnarr angekommen, hatten sich soweit möglich um alles gekümmert und sich dann ein bißchen ins das Gras gesetzt und sahen den kleinen Enten bei ihren ersten Schwimmversuchen im Weiher zu. Die beiden Knechte, Hättichdirjagleichsagenkönnen und Michfragtjakeiner waren gerade vorübergegangen und unterhielten sich leise über den fremden Gast. Der Gärtner kam nach kurzer Zeit zusammen mit seinem Gehilfen Wustichdochschonlange vorbei, und auch diese beiden sprachen leise miteinander. Der Gärtner Mankannmirdochnichtsvormachen schüttelte sogar mehrmals den Kopf.

Der Hofnarr, Wasfragstemichdenn, war ein kleiner, sehr kluger und gutherziger Geselle, dem es auch zuwider war, gemeine Scherze zu machen, die Leute zu verkohlen oder ihnen ihre Fehler und Gebrechen auf herzlose Weise vorzuhalten; kurz, sich auf gemeine Weise über andere lustig zu machen. Trotzdem fürchteten ihn die meisten, denn wenn er meinte, er müsse auf einen Mißstand hinweisen oder eine Person auf ihr ungebührliches Verhalten, dann bediente er sich eines Beispiels, was ja schon in der Antike angewandt wurde: er ließ es die Tiere vorführen, und manchmal erst nach Tagen dämmerte es dann bei einigen Personen und sie erkannten: ach du meine Güte. Ja ja, ach du meine Güte. Genau so ist es mir passiert.

Der Hofnarr und die Prinzessin hatten nun den Enten lange genug zugesehen und sich davon überzeugt, daß alle Tiere gut versorgt waren und gingen langsam und sich miteinander unterhaltend den Hauptweg zum Schloß zurück. Auf dem kleinen Mäuerchen, das den Obstgarten eingrenzte, saß der Fremde und biß in einen unreifen Apfel. Den hatte er nicht im Fallobst gefunden, sondern hatte ihn vom Spalierobst weggenommen. Das war nicht recht, und man konnte nur hoffen, daß es dem Gärtner nicht so schnell auffiel, denn es hätte auf jeden Fall seinen Zorn entfacht. Möglicherweise hätte er sogar einen Veitstanz aufgeführt, wenn er bemerkt hätte, daß an einem zweiten Spalier ebenfalls ein Apfel fehlte. Zur Zeit war er aber in einer anderen Ecke des Gartens beschäftigt, die Vögel aus den Kirschbäumen zu vertreiben. Warumdennimmerich rief nach dem Gärtnergehilfen, um ihn mit neuen Aufgaben zu betreuen und machte ihm Vorhaltungen. Dafürkannichdochnich zog eine Flappe und brummelte vor sich hin und ärgerte sich natürlich über das schreiende Unrecht, welches man ihm antun wollte. Sollte er sich den ganzen Tag neben das Spalierobst stellen, um Diebe fernzuhalten?

Als die Prinzessin und der Hofnarr sich im Schlenderschritt näherten, hob der Fremde die Augen und vergaß für einen Moment, von seinem Apfel abzubeißen. Er wollte ihn gerne in seiner Tasche verbergen, aber da man ihm nur ein paar schlapperige Gewänder gab, bis seine eigenen Sachen wieder gewaschen und gebügelt waren, bemerkte er, daß es gar keine Tasche gab, wo er etwas verbergen könne. Jedenfalls keine, die er auf Anhieb entdeckte. So saß er nun mit dem angebissenen grünen Apfel in der Hand etwas unglücklich auf dem Mäuerchen und sah den Ankommenden mißtrauisch entgegen. Beim Anblick der liebreizenden Prinzessin und dem gutmütigen Gesichtsausdruck von Wasfragstemichdenn faßte er ziemlich schnell Vertrauen (in sich selbst) und dachte: na, die beiden Landeier lege ich ziemlich schnell aufs Kreuz! Die beiden Landeier blieben bei ihm stehen und fragten, ob er sich inzwischen schon wieder gut erholt hätte. „Oh oh“ sagte er und ließ ein leises Stöhnen hören. „Aber ich muß leider weiter. Mein Regent hat mich abgesandt, um einen gewissen Gegenstand zu beschaffen, von dem ich nicht genau weiß, wo er sich befindet. Aber wenn ich nur ein bißchen Unterstützung fände – gegen einen guten Lohn“ nickte er dem Hofnarren zu. „Mein Herrscher ließe es sich schon etwas kosten.!“

Die Prinzessin und der Hofnarr wechselten einen kurzen schnellen Blick just in dem Moment, als der Fremde wieder in seinen Apfel biß und für den Bruchteil einer Sekunde auf seine Finger sah. Die Beiden stellten sich nun höflicherweise mit Namen vor, so daß man sich doch auch richtig anreden konnte „Würdet Ihr uns Euren Namen verraten fragte süß lächelnd die Prinzessin und strich ihm sanft über den Unterarm. Der Fremde war doch ein wenig verwirrt, daß eine leibhaftige Prinzessin so freundlich mit ihm sprach und ihn tatsächlich, wenn auch nur mehr oder weniger am Ärmel, berührte. „Ich führe einen französischen Namen und bin von Adel“ bemerkte er ein bißchen hochtrabend. „Ich heiße Manometer du Cretin. Das du wird natürlich dü ausgesprochen, da es ja französisch ist.“ „Selbstredend“ bemerke der Hofnarr und gab sich Mühe, ein Lächeln zu unterdrücken, während sich der Fremde an die Prinzessin wandte und mit einer kurzen Verbeugung „Hoheit können Mano zu mir sagen“ wieder zurück auf das Mäuerchen sank, von dem er sich kurz zuvor erhoben hatte. Nun wurde es Zeit sich zu trennen, denn schließlich konnte man ja nicht stundenlang die Zeit mit überflüssigen Gesprächen vertrödeln. Und da war man schon fast auf dem besten Wege, dies zu tun. „Wir sehen uns heute Abend auf der Bank am Brunnen“ sagte die Prinzessin über die Schulter nach rückwärts und entfernte sich, und der Hofnarr winkte auch kommentarlos nach hinten, ohne sich davon zu überzeugen, ob man seine Geste bemerkte oder nicht. „Da habt Ihr aber eine Eroberung gemacht“ grinste der Hofnarr mit einem leisen Kichern die Prinzessin von der Seite her an, und als sie sich ihm zuwandte und sie sich in die Augen sahen, fielen beide wie auf Kommando in ein irres Lachen ein und konnten eine ganze Weile nicht wieder aufhören. Und wenn es nicht vollkommen unstandesgemäß gewesen wäre, hätte sich die Prinzessin gerne auf den Boden geworfen und sich wie ein kleines Ferkel im Matsch gesühlt. Als sie sich dann endlich einigermaßen beruhigt hatten, sagte Wasfragstemichdenn: „Hoheit dürfen Mano zu mir sagen“ und dann prusteten beide wieder aufs Neue los und konnten nicht so schnell wieder aufhören zu lachen.

Es war ein milder Abend und fast der ganze Hofstaat, ja immerhin achtzehn Personen, hatten sich unter der großen australischen Silbereiche versammelt, um den schönen Abend zu genießen und gemeinsam alte Lieder zu singen. Auch hatte so mancher eine lustige Geschichte zum Besten zu geben oder auch von einem weniger komischen Vorfall zu berichten. Für die königlichen Eltern hatte man bequeme Sitzgelegenheiten mit weichen Polstern und Fußstützen herbeigeschafft, das Gesinde saß auf einer ausgebreiteten Decke auf dem Rasen und die Regierungsvertreter und übrigen Hausgenossen saßen gemütlich auf der Bank. Etwas abseits hatte sich die Prinzessin mit dem Hofnarren auf dem Rand des Wassertroges niedergelassen, aus dem das Vieh trank, wenn es dort vorbeikam. Und auch der Fremde setzte sich, nachdem er die Beiden entdeckt hatte, mit einem freundlichen „Guten Abend“ dazu. Der Kellermeister hatte sogar ein kleines Fäßchen Most spendiert, der sehr harmlos schmeckte aber nach einer gewissen Menge selbst einen Elefanten von den Füßen kippte. Man konnte natürlich keinen Beweis dieser Behauptung erbringen, denn so groß war das Faß ja nun auch wieder nicht, und außerdem mangelte es an geeigneten Kandidaten, da ja weit und breit keine Elefanten zu sehen waren. Aber Wasfragstemichdenn meinte schelmisch zum Schweinehirten Neinichstinkenich: „trink mal noch einen, dann siehst du massenhaft Elefanten kommen.“

Mano entpuppte sich mehr als ein Nassauer als ein Franzos. Da es ja nichts kostete, dem Most reichlich zuzusprechen, tat er sein Bestes, um nicht zu kurz zu kommen, Auch schien ihn sein Gedächtnis insoweit verlassen zu haben, daß er vor nicht allzu langer Zeit heimlich zwei grüne Äpfel vom Spalierobst entwendet und auch noch gegessen hatte. Noch war er in dem Stadium, wo sich die Zunge löste und man das Bedürfnis hatte, sein Herz auszuschütten, unheilvolle Drohungen anzukündigen oder jammernd Selbstanschuldigungen auszustoßen. Und bei genauerem Hinhören erfuhr man andeutungsweise, was dieser linke Vogel, ja so mußte man es fairer Weise tatsächlich ausdrücken, hier in dieser Gegend wollte. Hier im Ländle kannte doch jedes Kind die Legende vom Prinzen, der von einem Zauberer für einen großen Dienst mit einer blauen Perle belohnt worden war, die große Zauberkräfte besaß. Nun hatte dieser Prinz in seinem jugendlichen Alter natürlich alles Mögliche im Kopf, aber nichts Gescheites. Das gibt es bei Fleischersöhnen genau so häufig wie beispielsweise bei Prinzen oder auch umgekehrt. Jedenfalls hatte dieser Luftikus total vergessen, was es mit dieser blauen Perle für eine Bewandtnis hatte. Manchmal saß er an einem kleinen Bach unter einem großen Baum mit der Perle in der Hand und sagte: “Ich wünsche mir die drei schönsten Frauen der Welt“. Aber die Perle war taub und hörte nichts. Nur drei Libellen flogen manchmal über das Wasser, aber das hätten sie ohne Perle auch getan. Dann dachte er ganz intensiv und angestrengt: „ Ich wünsche mir auf der Stelle ein schnelles Pferd.“ Aber selbst nach einer Stunde war weit und breit kein Pferd zu entdecken, nur der Esel vom Müller, der in der Nähe angebunden war, machte hin und wieder Iaah. Iaah. Iaaaaah! Und als er mal wieder am Bach saß, spielte er mit der Perle herum, warf sie in die Luft, fing sie wieder auf – und schwupp, fiel sie ins Wasser. Aber da war sie nicht mehr zu sehen. Auch nach langem Suchen nicht. Sie war in den Bach gefallen und weg war sie. Auch der Prinz war verschwunden. Man hatte tagelang nach ihm gesucht, jedoch konnte man nicht die geringste Spur entdecken, wo er wohl geblieben sein könnte. Man erforschte sogar die Umgebung, ob es dafür Anzeichen gab, daß ihm irgendjemand ein Leid zugefügt hätte. Nix da. Weg war er. Und nach und nach verschwand auch die Legende aus den Köpfen der Bewohner, denn die hatten genügend mit ihren Alltagsgeschichten zu tun.

Manometer du Cretin ließ keinen Zweifel daran aufkommen, daß er auf der Suche nach dem verschwundenen Prinzen und dem Verbleib der Zauberperle war. Denn beides, so sagte er, kann ja nicht spurlos von der Erdoberfläche verschwinden. Nicht nach oben, nicht nach unten sagte er und schlug mit der Faust auf sein Knie. Anderntags beim Frühstück hatten fast alle Schloßbewohner einen gehörigen Brummschädel, und unser Mano hatte dazu noch einen argen Durchfall, so daß er stöhnend und sich windend über den Rasen kullerte, denn er wollte sich auf die Suche begeben und konnte keine drei Schritte vorwärts kommen, ohne daß ihm etwas Unangenehmes passierte. Wasfragstemichdenn hatte sich ein kleines Pony satteln lassen, das er mit seinen kurzen Beinen sehr bravourös besteigen konnte und saß fest im Sattel. Die Prinzessin nahm heute den Braunen, denn der Schimmel, befand sie, war viel zu auffällig. „Wir werden erst mal in die weiße Stadt reiten und den Bürgermeister fragen, ob ihm etwas bekannt ist“ sagte die Prinzessin und klopfte dem Braunen den Hals. „Das halte ich für falsch“ antwortete Wasfragstemichdenn. „Am ehesten könnte man doch in Blau etwas wissen.!“ „Wir wollen uns nicht streiten, also laß uns zunächst in Gelb nachfragen. Kommt doch sowieso nichts dabei heraus“ sagte die Prinzessin ungehalten.

Inzwischen war es ganz schön warm geworden und die beiden Reiter bekamen Hunger und Durst und suchten ein Plätzchen, um Rast zu machen. Aber es mußte auch so beschaffen sein, daß auch die Pferde saftiges Gras und frisches Wasser bekamen. „Wir sind nicht allzu weit vom Bach entfernt, hörst du ihn? Laß uns hinreiten und einen geeigneten Platz finden.“ Wasfragstemichdenn gab seinem Pony die Sporen und ritt voraus.

An der Stelle, wo der Bach wieder einen seiner vielen Knicks machte, ließen sie sich nieder und auch die Tiere ließen sich ermüdet in das weiche Gras plumpsen. Aus dem Gegenüber der breitesten Stelle des Baches, an der üppige Pflanzen wucherten und sich ausgebreitet hatten, trat gravitätisch ein blauer Fischreiher hervor, sah einen Augenblick lang zum Himmel und tauchte dann seinen Schnabel in das Wasser. Dann wandte er seinen Kopf und schaute zu den rastenden Menschen herüber. In seinem Schnabel hielt er eine blaue Perle. Dann entfernte er sich lautlos durch das Dickicht und verschwand.

Die Prinzessin und der Hofnarr saßen wie vom Donner gerührt im Gras, aber die Tiere hatten von dem Vorfall überhaupt keine Notiz genommen, als ob solche Ereignisse an der Tagesordnung wären und zum täglichen Leben gehörten. Die Prinzessin zog nach einer Weile ihre Schuhe aus, watete durch den Fluß und untersuchte das Dickicht, denn erstens war sie sehr mutig, zweitens war sie sehr neugierig und drittens sozusagen gehörte sie zur gehobenen Gesellschaftsschicht und da hatte man eben eine besondere Art, mit Katastrophen und ähnlichen Überraschungen umzugehen,

Wasfragstemichdenn hatte die Arme unter dem Kopf verschränkt, schaute in den Himmel und reckte sich. Dann gähnte er herzhaft und beschloß, erst mal ein Mittagsschläfchen zu machen. „Sie wird mich schon wecken.“ dachte er noch und sofort war er eingeschlafen. Erst bei Anbruch der Dunkelheit erschien die Prinzessin barfuß und Hand in Hand mit einem schönen jungen Mann, der einen hellblauen Anzug trug und seine Schuhe in der Hand hielt, zwischen seinen Lippen trug er die blaue Perle. Dann durchschritt das Paar gemeinsam den Bach, trocknete im Gras die Füße und zog die Schuhe wieder an. Dann standen sie eine ganze Weile eng umschlungen an diesem schönen Ort, wo der Prinz so viele Jahre als Reiher gelebt hatte. Trotzdem hatte man das Gefühl, daß überhaupt kein bißchen Zeit vergangen war. Andächtig blickten sie sich noch einmal um. „Wollen wir ihn schlafen lassen?“ fragte die Prinzessin. „Ja, laß ihn ruhig schlafen. Es passiert ihm ja nichts1“ Dann küßte der Prinz die Prinzessin, tat einen tiefen Atemzug und spuckte die Perle bis in die Mitte das Baches, wo sie wieder ihre blaue Farbe verlor und nur noch wie eine weiße Murmel aussah.

                                                                           **************

Wasfragstemichdenn wollte sich eigentlich auf den Heimweg machen, aber die Dunkelheit hatte längst eingesetzt. Sein Pony kam zu ihm gelaufen, und so schliefen sie nebeneinander, bis sie frühmorgens die Sonne weckte. „UUAAHHHH“,gähnte Wasfragstemichdenn und streckte sich. „Jetzt aber ab nachhause“ Auf dem Rückweg traf er einen Bauern, der seine Felder inspizierte, und so fragte er diesen, ob er ihm wohl den Weg nach Gelb beschreiben könne. Der Bauer sah ihn an und lachte. „Spaßvogel, was?“ Dann sah er eine Bauersfrau, die dabei war, ihre Hühner von der Straße zu treiben, damit sie im Hof geschützt umherlaufen können. „Würden Sie mit bitte sagen, wie ich nach Blau komme?“ Sie sah ihn verächtlich an. „Selbst blau, was?“ Wasfragstemichdenn ersparte es sich, einen weiteren Menschen nach Weiß zu fragen. Er ging, beziehungsweise ritt da hin, wo er hergekommen war, und sein Pony hatte wohl den gleichen Gedanken, denn es fand seinen Weg ganz allein. Bald erkannten sie auch die Stelle am Bach, wo sich die merkwürdigen Ereignisse zugetragen hatten. Ein Gefühl von Trauer und Verlassenheit bemächtigte sich des kleinen Mannes, so daß es einem in der Seele weh tat, wie er auch Sehsucht nach der Prinzessin verspürte, die doch eine wirkliche Freundin gewesen war. Und jetzt? Jetzt hatte er nur das Pony. Mit dem konnte man sich doch nicht unterhalten. Und mit dem konnte man ja auch nicht lachen, Ach! Ein tiefer Seufzer entrang sich seiner Brust. Dann schien es ihm, als winkten von der gegenüberliegenden Seite aus den grünen Pflanzen am Ufer zwei paar Hände. Sie winkten auch noch, als er nach einer kleinen Weile noch einmal hinüber schaute. Dann nahm er sein Ponny am Geschirr, watete durch den Bach und hatte seine Schuhe nicht ausgezogen, denn man konnte ja nie wissen. Und dann wäre er barfuß gewesen.

Zwei Paar Hände zogen ihn und sein Pony hilfreich ans Ufer. Dann war eigentlich alles wieder genauso wie es immer gewesen war. Der ganze Zwischenfall ging sozusagen im täglichen Tagesablauf unter. Man wartete noch zwei Jahre, dann konnte die Prinzessin ihren Prinzen Fragmichdochnichandauernd, zu dem sie sozusagen ganz überraschend gekommen war (wie die Jungfrau zum Kind, haha,) lachte der Kammerdiener Schmeißnichimmerallesrum ,heiraten, und diese kleine Welt läge geschützt vor aller Augen und könne doch auf keiner Landkarte verzeichnet sein. Es bliebe unsichtbar für alle Zeit und schütze die Bewohner vor Krieg und Unheil, denn die blaue Perle, die zu einer riesengroßen Blase werden könne, schütze für alle Zeiten alles was darunter liegt. Sozuzsagen unter einer großen Käseglocke. Die Gegend, von der man annimmt, daß sie sich dort befindet, ist karg und ungemütlich und keine Menschenseele ist gewillt, sich dort anzusiedeln. Aber in Wirklichkeit, wer weiß?

Ich hatte sie mal irgendwo kennengelernt und wollte Näheres wissen. Wasfragstemichdenn und Fragmichdochnichandauernd gaben stets solche Gummiantworten, daß man überhaupt nicht wußte, woran man war.

Na, ich krieg das schon raus, keine Sorge.
Ich laß mir doch von Euch keine Märchen erzählen.

Berlin , den 15. September 2012/LEWI

Ein hundsgemeiner Mord

Als ich einmal längere Zeit im Krankenhaus lag, kam dann endlich der Tag, an welchen ich aufstehen durfte und weil es später Frühling war, auch im Park spazieren gehen konnte. Da traf man dann schon fast zwangsläufig immer wieder die gleichen Leute und es organisierten sich kleine Grüppchen.

Wie in vielen Fällen üblich war dieses Krankenhaus mit einigen Einzelhäusern über ein parkähnliches Gelände verteilt. Mein Zimmer, das ich mit einer anderen Patientin teilte, lag im ersten Stock des Gebäudes Nummer drei. Dicht vor unserem Fenster stand ein großer Baum. Was war das für einer? Weiß ich nicht mehr. Einige Zeit später fuhr der Blitz hinein.

Bei der Mittagsruhe ließen wir das Fenster offen; jeden Tag um die gleiche Zeit kam Mäxchen uns besuchen, Ein Eichhörnchen, das von dem Baumstamm mit Schwung auf die Hauswand sprang. Die Wand war mit grobem Rauhputz bedeckt, so daß es sich dort festklammern konnte. Dann hangelte sich Mäxchen zum Fenster herein, inspizierte das Fensterbrett von innen, wo ein Knirps deponiert war, damit man auch bei Regenwetter mal eine kleine Runde durch den Park machen konnte. Als Mäxchen sich davon überzeugt hatte, daß das wirklich nichts zum knabbern war, sprang er auf meinen Nachtisch und schaute auf den Wecker.
Der tickte leise. Aber auch das hatte ihn nicht sehr beeindruckt, worauf er mit einem großen Satz auf mein Bett sprang. Da bekam er dann seine tägliche Nuß, und danach sah er sich noch einmal um und entschwand gruß- und lautlos, wie er erschienen war. Dieses oder ein ähnliches Procedere hatte er sicher auch an anderen Fenstern erfolgreich angewandt: Man war prominent. Und beliebt. Ein Star.

In den hohen Bäumen nisteten viele Krähen, die zu dieser Jahreszeit wohl ihr Gelege bewachten und kampfesmutig jeden Räuber oder Eindringling vertrieben.
Es kam der Tag, an dem wir vergeblich auf unseren Besucher warteten. Auch am nächsten Tag war weit und breit kein Mäxchen zu sehen. “Der hat sein Revier geändert“ meine meine Nachbarin.

Es gab ziemlich weit hinten ein Gelände, wo der Weg sich zwischen großen dunklen Bäumen hinzog, den gerne die Männer benutzen, um ungesehen mal eine Zigarette zu rauchen. Und auf diesem dunklen Pfad stieß man auf den vollständig zerhackten Kadaver von unserem kleinen Sonnenschein. (Vielleicht wollte er ja Eier klauen?) Die Rache aber war fürchterlich.

Nach dieser unheilvollen Nachricht beschlossen einige Patienten, Mäxchen in Gedenken an die viele Freude, die er uns bereitet hatte, eine würdige Bestattung zukommen zu lassen. So verarbredeten wir uns zu Siebzehn Uhr an einer geeigneten Stelle für die Beisetzung. Mäxchen fand seinen letzten Aufenthalt in einem großen Schuhkarton, der mit schwarzem Seitenpapier ausgeschlagen war. Alle Männer waren nach Möglichkeit in dunkel bis schwarz gekleidet und die Frauen zogen auch ihre düstersten Klamotten an. Jemand, der sogar einen Zylinder organisiert hatte, zelebrierte einen evangelischen Gottesdienst, und dann sangen wir gemeinsam, ich glaube es war:

„Ein feste Burg ist unser Gott, ein große Wehr und Wa- ha- ha- fen,
und gegen Schluß der Feier:

„Großer Go- hott wir lo- ho- ben dich, Herr, wir prei- hei- sen dei-hei- ne Stärke.“

Das war nicht ganz passend, aber es waren die einzigen beiden Kirchenlieder, die die meisten kannten. Dann folgten noch ein paar herzergreifende Reden, und jeder war mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt. Wir waren wirklich alle sehr traurig und ergriffen. In diese augenblickliche Totenstille erhob sich eine Männerstimme und der Betreffende schaute forschend in die sich im Wind bewegenden Baumwipfel.

„Also, ick weeß nich – von de Verwandschaft hat sich übahaupt keena blicken lassen. Wie finde ick denn ditte! Det is doch schooflich, oda?“

Verständlicherweise lockerte diese Bemerkung die Stimmung beträchtlich auf, so daß wir gemeinsam ein in der Nähe gelegenes Restaurant aufsuchten und dann, wie es so üblich ist, dem sogenannten Leichenschmaus frönten.

Aber ich denke, Mäxchen – niemand, der dich erlebt hat, wird dich jemals vergessen. Ruhe sanft!

Berlin, den 8. September 2912/LEWI

Ein zauberhafter Ort ist ja auch dieser

Wir trafen uns in Herrsching am Ammersee, unsere Freunde aus dem Norden von der schönen Insel Helgoland, die uns zuliebe nur unter Zwangsandrohung ihr Eiland verlassen hatten; wir natürlich und noch ein Zugereister aus Hannover. Ich kann mich nicht erinnern, wie er mal in unsere Truppe geraten ist. Ich mochte ihn nicht besonders. Mindestens zehn- bis zwölfmal am Tag begann er seine Sätze mit: Wir Hannoveraner sind ja.., oder wir Hannoveraner haben ja…., oder wir Hannoveraner würden wohl kaum….!

Vorgestern saßen wir alle gemütlich zusammen mit den Einheimischen in Kloster Andex. Die Sonne schien auf uns herab und diktierte gute Laune. Wir hatten das Glück, draußen einen Platz zu finden und genossen die urige Atmosphäre. Da es relativ früh am Tage und wir noch traditionsgemäß damit beschäftigt waren, die Riesenschweinshaxe und die Maß zu vertilgen,hatte es der Hannoveraner geschafft, uns so lange mit seiner Bitte zu traktieren, nach Ehrwald zu fahren, weil er dort einen guten Bekannten hatte, der ein As im Paragliding war, bis wir dem zustimmten und mit verhaltener Begeisterung einverstanden waren. Also rief Eberhard seinen Freund an und unterrichtete ihn von dem geplanten Überfall. Scherfkes Tochter Bella (isa-) hatte ihren kleinen Hund dabei. Margit war nicht sehr begeistert. „Ich finde es nicht in Ordnung, von früh bis spät die Kleine mitzuschleppen, sie ist kaum Vier. Das ist eine Tortur für das Kind. Und für den Hund genau so. Aber die Herren der Schöpfung bekommen ja nie genug, wenn sie sich mal etwas in den Kopf gesetzt haben.“ „Stimmt“ bestätigte ich matt. Aber zu Bellas Ehrenrettung muß ich sagen, sie ist die wohl einzige, die diesen Tag bestens überstanden hat.

So fuhren wir halt im Konvoi Richtung Süden. Ist ja nicht allzu lang die Fahrt. Ich hätte mich lieber abgesetzt, wäre gern mal wieder zum Eibsee – aber na ja. Werner schob die Lippe vor. „Habe ich den Impfschein vom Hund?“ „Braucht man den?“ „Was weiß ich. Früher mußte man ihn dabei haben.!“ „Früher, früher – ich will wissen ob jetzt.!“ Werner wandte sich an Klaus. „Was meinst du denn – ich will keinen Ärger.“ „Bin ick Moses? Wächst mir Gas in de Tasche? Wollte ick nach Ehrwald? Bei der Wärme? Vier Leute, een Kind, een Hund – und allet wegen diesen doofen Eberhard mit seine vornehme Schnauze.“

„Puppele, wenn die Polizei kommen sollte, sagste deinem Hundi: ab unter die Bank und keinen Mucks, ok?“ „Ok, keinen Mucks, Vati.“ Und irgendwann blickte tatsächlich ein Polizist in unser Auto. Nur mal so. „Nicht wahr Vati, wir sagen der Polizei nicht, daß wir einen Hund versteckt haben.“ Bella strahlte den Polizisten mir ihren blauen Kulleraugen an und lächelte honigsüß. „Na kleine Dame“ sagte der Ordnungshüter, wo ist er denn, der Hund.“ „Na unter der Bank, siehst du.“ Der Polizist lachte. Er blickte einmal kurz nach unten, aber da sah er nichts. Da waren Füße. „Gute Fahrt und viel Vergnügen“ sagte er. „Siehst du Vati, der hat ja gar nichts gemerkt“ sagte Bella. Vati holte tief Luft, blickte kurz zum Himmel und schnell wieder auf die Fahrbahn. Vati schwieg. Irgendwann kamen wir in Ehrwald an, oben auf dem Berg. Ich war kreutzlahm.

So eine lange beengte Fahrt – puh. Ach, hätte ich lieber am Ammersee gesessen. Bei Kaffee und Kuchen. Irgendwie war die Stimmung dahin und die Helgoländer wären auch lieber auf Ihrer Insel gewesen. Ich hatte zunächst auch genug von der „Erholung“ und Klaus machte dieses Gesicht „Laß mich bloß in Ruhe!“

Da oben war es windig. Bella spielte mit dem Hund, ihre Mama blickte finster umher und strafte die Herren mit komplettem ignorieren ihrer Anwesenheit. Plötzlich waren wir alleine.Werner und Margit, Bella und der Hund, Klaus und ich. Eberhard der Hannoveraner hatte es erreicht, daß er einen Abflug machen durfte. Unser Interesse war mäßig. Wir hatten schon eine ganze Weile die Fliegerei beobachtet. Dann sahen wir den Eberhard, wie er in den Talkessel flog und flog und flog und flog und schließlich unseren Blicken entschwand. Vielleicht wußte er nicht, wie man so ein Ding steuert. Er hatte sich so weit entfernt, so daß man nur noch ein Pünktchen sah.

Die Flieger, die vom Berg aus das Manöver beobachteten, schauten irgendwie entgeistert in die Ferne und eine junge Frau im gelben Hosenanzug schlug ihre Hände an die Wangen und rief: „Der Eberhard ist weg. Mein Gott! Der Eberhard ist weg!“ Bella saß im Gras und daneben saß ihr Hundi und hatte seine Schnauze in ihren Schoß gelegt.

„Mammi, ich habe Hunger. Freust du dich jetzt? Der Eberhard ist weg.“ Klaus hatte sich entfernt bis dorthin, wo der Baumwuchs begann. Vielleicht mußte er ja mal. Dann kam er zurück über die Wiese. Bella formte ihre Hände zum Trichter. „Klaus kohomm,,wir faaahren, der Eeeeeeeberrr-haaaaaard ist weeeeheg. Der E – ber – hard ist weeheg, weeheg!“

Auf dem Rückweg haben wir in Garmisch gut gegessen. Dann fuhren wir zurück nach Weßling. Hund und Kind waren im Auto eingeschlafen. Es wurde noch ein gemütlicher Abend. „Wir Berliner pflegen in solchen Situationen die Ruhe zu bewahren. Wir Berliner sind in solchen Fällen absolut die Ruhe selbst. Wir Berliner können……“
„Wenn du nicht sofort den Mund hältst“ sagte Werner, dann schmeiße ich euch raus. „Wir Berliner nehmen das zur Kenntnis“ sagte Klaus und verließ das Zimmer. Bella mußte wohl auch noch mal. Dann stand sie im Nachthemd in der Wohnzimmertür und unterrichtet uns freudestrahlend: „Der Eberhard ist weg. Der ist weggeflogen.“

„Mond oder Mars? „ Fragte Margit.

Berlin, den 17.8.2012/Lewi

Alle Namen und Orte sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden Personen zufällig.

Ein Zauberhafter Ort von vielen

„Lugano, Stadt am blauen See.
San Salvatore, Monte Brè, ……..
du bist‘s, das einstmals ich verließ,
ein wunderschönes Paradies…… (oder so ähnlich).

Dieses Lied ging mir im Kopf herum und vor meinem geistigen Auge entstand das Ölgemälde eines Künstlers, dessen Namen ich nicht kannte.“Gandria“ am Luganer See. Ich kam von Ponte Tresa her; bis dorthin hatten mich Berliner Gäste meines Feriendomizils freundlicherweise mitgenommen. Die hatten aber andere Pläne. Sie wollten Morcote einen Besuch abstatten. So war ich mir zu meiner inneren Freude wieder selbst überlassen. Ich bin nicht direkt ein Einzelgänger, aber ganz gewiß kein Gruppenmensch. So wie sich mir die Gelegenheit bietet, seile ich mich ab, um auf meine Art Eindrücke aufzunehmen. Ich bin kein großer Freund des „gemeinsamen Erlebens“. Nur in den seltensten Fällen gelingt es doch, dann wirklich das in sich aufzunehmen, was einen tatsächlich interessiert. Oder das, was die Fantasie beschäftigt. Man glaubt es ja nicht, aber ich kann tagelang schweigen! (Keine Angst! Ich hole alles nach.)

Na, jedenfalls hatte ich genügend Muße, in Lugano herumzustromern, die Geschäfte zu betrachten und die Auslagen der Juweliere anzusehen. Ein Glück, daß sich meine geheimen Wünsche nicht übermäßig nach den bearbeiteten Endprodukten kostbarer Juwelen und edle Metalle sehnten. Ich betrachtete die Schönheit der einzelnen Stücke und bewunderte die Arbeiten der verschiedenen Handwerker, die mit großer Kunst so herrliche Stücke geschaffen hatten.

Belustigt betrachtete ich die in der Luft trocknenden Würste in der Via Gabbani. Doch zog es mich schließlich ans Wasser. Zunächst war da aber ein nettes Café mit überwältigenden Verlockungen. Noch unentschlossen kämpfte ich einen Kampf, den ich meistens verlor. Ich konnte mir doch schlecht die Nase an der Schaufensterscheibe eindrücken,,,,! „Drück dir bloß nich deine Himmelfahrtsneese platt, du verfressenes Ding“ wisperte es hinter mir. Na, das ist ja die Höhe! War ich damit gemeint? Ich richtete mich gerade auf, nahm Haltung an und wendete mich ganz langsam um. Da stand Eggi, mit vollem Namen Eginhard, der eine zeitlang in der gleichen Firma wie ich beschäftigt war. Mit fiel die Kinnlade herunter. „Eggi!!! Wo kommst du denn her!!!“ „Vom Himmel hoch, da komm ich her….! Oder etwa nicht?“ „Wie meinst du das denn?“ „Na, errette ich dich nicht? Hier wirst du nicht reingehen. Komm, laß uns an den See fahren, und dann sage ich dir, wo ich herkomme und du erzählst mir, warum du hier bist.“ Na, das kann ja heiter werden, „Bist du denn alleine?“ frage ich. „Sieht man das?“ Er hatte wieder dieses überhebliche Grinsen drauf. So wie ich ihn schon immer kannte. Auch einer, der das Pulver erfunden hat, dachte ich. Aber er war immer ein guter Kollege und auch ein guter Kumpel gewesen.

„Und weshalb bist du nun wirklich hier“ bohrte ich weiter. „Ich habe meine Mutter zu ihren Bekannten gefahren. In den ganzen Jahren fuhr sie immer alleine, aber jetzt klappt das nicht mehr so. „ Ich bin ein guter Sohn, weißt du“ sagte er und sah mich schräg von unten an. „Ja, bin ich. Und außerdem dachte ich, guck dir mal die Gegend an. Rund herum alles Gegend, und dann du!“ „Na so ein Reinfall. Du hättest doch auch weitergehen können. Ich hatte dich ja nicht mal gesehen.“ „Und wo hast du deine Mamma nun abgesetzt“ fragte ich. „An der Tankstelle“ antwortete er mir. „Was?“ Kaum konnte ich meine Empörung verbergen. „Und an welcher?“ „An der, wo die meisten Autos vorbeifahren.“ Und grinst wieder dieses besserwisserische hochnäsige impertinente Grinsen. „Du Unmensch“ sage ich. „Du kannst doch nicht einfach….“ Er unterbrach mich. „Sie weiß ja, wo sie hin muß. Ich habe ihr die Adresse auf einen Zettel geschrieben. Ich bin ein guter Sohn sein, weißt du!“

„Eggi“ sage ich aufgebracht, „laß mich sofort aussteigen!!!“ „Das geht schlecht, wenn ich dich hier rauswerfe, kullerst du die Böschung runter“ sagt er ruhig. Ich atmete ganz tief. Ein menschlicher Abgrund tut sich da auf. Daß er so ein gemeiner Hund ist, hätte ich nie gedacht. Im nächsten Parkhafen hält er an. Mir wird übel.

Nun wendet er sich mir zu, der Unhold. Er sieht mich lange und sehr intensiv an, dann nimmt er meine linke Hand in seine beiden Hände und sagt: „Meine Mutter hat Freunde in der Nähe des Comer Sees. Sie hat sich von ihrer Operation sehr schwer erholt und sich nicht getraut, ihren Wagen so eine lange Strecke alleine zu fahren. Sie hat mich nicht gefragt, aber ich habe gesagt Mutter ich bring dich und habe mir ein paar Tage Urlaub genommen weil ich in dieser Gegend hier auch noch nie war und weil ich auch nicht ahnen konnte daß ich ausgerechnet dich hier treffe und daß ich…“ „Jetzt reicht es aber wirklich. Es reicht! Es reicht! Es reicht!“

„Jetzt hab ick aber Hunger, und wie. Du ooch?“
„Ach! Ich bin satt“ sagte ich beleidigt.
„Na, nu komm. Nu sei nich einjeschnappt. Ich lade dich ein – wir werden jetzt elegant ausgehen und vornehm dinieren. Vom Feinsten! Im feinsten Restaurant. In einem dieser Hotels am See, oder wo du willst….!“

Ich schwieg. Er taxierte meine Kleidung und befand, daß man sich mit mir blicken lassen konnte. Er trug einen leichten hellgrauen Anzug und ein mattlila Hemd. Dann steuerte er auf den Parkplatz eines der Etablissements am See. Wir wurden eingewinkt. Der Mensch an der Tür taxierte mich; ich genügte den Ansprüchen. Mein Begleiter wurde diskret darauf hingewiesen, daß hier nach 18 Uhr Krawattenzwang herrscht. Gegen einen bestimmten Obolus konnte man sie natürlich leihen, wenn man unbedingt hier eine entsprechende Mahlzeit einnehmen wollte in Gesellschaft der sogenannten Gesellschaft. Eggi lieh sich eine passende Krawatte.

„Dafür hättick se mir och koofen können“ nuschelte er.
„Eggi“ sagte ich, „mit Krawatte berlinert man nicht!“
Frau, schweige und folge mir“ sagte er. Ich folgte der Anweisung.

16.8.2012/LEWI

Alle Namen und Orte sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden Personen zufällig.

Ein zauberhafter Ort

Mariawörth! Der Dampfer hat in Velden abgelegt und eine beträchtliche Anzahl Touristen hat denselben in Mariawörth verlassen. Im Kurschritt, versteht sich. Es ist aber auch ganz schön heiß.

Auf der Terrasse am See, feinste einheimische Küche ist annonciert, läßt sich die Dame auf den bequemen Stuhl mit Armlehnen und weichem Polster nieder. „Ich sitze erst mal wieder“ Steht in ihrem Gesicht geschrieben. So etwas gab es eben nur in Oesterreich. Einen Oberkellner, einen Kellner, einen Zahlkellner, eine Serviererin… „Küüüsss die Haaand, Frau Hofrat und so weiter. Frau Hofrat trägt ein ärmelloses Kleid, türkis, und darüber eine taillierte weiße Jacke. Weiße Tasche, weiße Sandaletten mit bequemem Absatz und einen weißen Tragebeutel aus gehäkeltem dicken Garn. Eine Halskette aus undefinierbaren Material in weißem Grundton und bunten Motiven. Aus Mexiko? Indieanerschmuck? Imitation? Weiß man ja nie, was Frauen so um den Hals tragen.

„Pfifferlinge in Sahnesoße mit Semmelknödeln“ kann ich vestehen. Na, jedenfalls keine Diät und auch nichts Ausgefallenes. Irgendwelche tierischen Eingeweide in pikanter Soße – ist ja auch nicht Jedermanns Sache. Die Wellen plätschern, Dampfer fahren hin und her, die Luft flimmert, ab und zu regt sich ein Windchen….. Hier ist es schön. Und romantisch ist es. Keine Frage. Auch ein bißchen antiquiert – und vornehm. Gibt es ja vereinzelt doch noch. Oder, sagen wir mal, gediegen. Muß es ja auch geben. Für die wegsterbende Generation. Soll‘n sie halt ihren Anteil haben. Entspannt in meiner sehr bequemen Sitzgelegenheit zurückgelehnt, den Rest eisgekühlten Campari Orange vor mir, (ich habe schon gegessen) und in Vorfreude auf noch einen späteren Kaffee (Melange) blicke ich andächtig in der Gegend herum und denke vor mich hin. „Mein Gott, kann die Welt schön sein.!“

Ein älterer Herr im leichten Sommeranzug steht plötzlich vor meinem Tisch. „Wenn Sie gestatten, gnädige Frau, würde ich mich gern zu Ihnen setzen!“ Ich bin verblüfft und irgendwie aus meiner Träumerei gerissen. Bin ich im falschen Film? Na, die gnädige Frau gestattet mit einem leichten Kopfnicken und einer sparsamen Handbewegung „Bitte sehr.“ Unauffällig taxiere ich meinen plötzlichen Tischherrn. Er ist gut gekleidet, macht einen gepflegten Eindruck, hat offensichtlich Manieren und sieht auch sympathisch aus. Na ja. Ich hätte doch nicht „NEIN“ sagen können, „ich sitze hier lieber alleine und träume vor mich hin.“

Auf Stirn und Oberlippe haben sich kleine Schweißperlen gebildet, die er mit einem Stofftaschentuch weg tupft. Nach dem Studium der umfangreichen Speisekarte hat er seine Bestellung dem entsprechenden Bedienungspersonal anvertraut. Hoffentlich bringen die nichts durcheinander, denke ich. Ein kühles Bier steht nun auch vor ihm.

Ich nicke ihm kurz und freundlich zu als ich bemerke, mit welcher Genugtuung er den ersten tiefen Schluck genießt. Nun lächelt er ein bißchen und wischt den weißen Schaum von der Oberlippe. Mit dem Stofftaschentuch. „Ach, das tat wirklich gut“ sagte er und hatte seine Gesichtszüge nicht mehr ganz unter Kontrolle. Anscheinend konnte er sich zwischen einem zurückhaltenden Lächeln und einem genüßlichen Grinsen nicht so recht entscheiden.

„Man ist ja diese Temperaturen überhaupt nicht mehr gewöhnt. Zum Glück ist man ja nicht genötigt, sich übermäßig viel zu bewegen, Sommer – kann mitunter doch auch ganz schön anstrengend sein,“ Das kann ich bestätigen. Ich nicke zweimal kurz mit dem Kopf und sage: Doch doch.“ Er spricht jedes Wort so langsam und gestelzt aus – holprig. Ob er einen Schlaganfall hatte? Ich schaue ihn mir näher an. Er hat graue Augen, ist leicht gebräunt und glattrasiert, hat eine gerade Nase und ein kaum wahrnehmbares Doppelkinn, wenn er eine bestimmte Kopfhaltung einnimmt. Und wenn er ein Lächeln probiert, bilden sich kurz hinter den Mundwinkeln zwei schmale senkrechte Grübchen. Einen erweiterten Gesichtskreis hat er auch. Seine Haare haben sich diskret zurückgezogen und schimmern in der Sonne in grau gesprenkeltem honigblond.

Nachdem der Kellner mich inzwischen einmal mit Frau Doktor in Verbindung mit einer devoten Verbeugung angesprochen hat, wendet sich mein Tischnachbar mit entsprechender Verve an mich: “Gnädigste machen hier Ferien? Oder nur eine kleine, wie man so sagt : Stippvisite?“ Mein Gesichtsausdruck muß ihn wohl erschreckt haben. Man hatte mir sehr oft versichert, daß man in meinem Gesicht meine Gedanken lesen kann. Nun, vielleicht was er des Lesens kundig? Da stand,
gut lesbar auf deutsch und österreichisch: „Leicht unterbelichtet, was?“
„Nun sah er mich mit dem berühmten Hundeblick an und wirkte so hilflos, daß ich lachen mußte. Erst leise und zurückhaltend, und dann etwas lauter. Er hatte längst eingestimmt, und so lachten wir immer länger und ein wenig lauter, blickten uns in die Augen und stimmten aufs neue in das Gelächter ein. Der Herr Oberkellner, in freundliches Schwarz gekleidet, wandte sich distinguiert ab.

Mit den letzten leisen Glucksern sagte ich“ Ich bestell mir jetzt Kaffee“ und er meinte: „Eis wäre doch auch nich schlecht, hm?“ „Nee“.
„Woran merkt man das?“ fragte er. „Das merke ich immer. Ich kann es
nicht beschreiben. Die vorsichtige, gekünstelte Ausdrucksweise, die Angst, etwas Ungehöriges zu sagen – als Prolet angesehen zu werden (von Frau Dokta).“
„Gibts hier Weiße?“ fragte er. „Weiß ich nich. Ich trinke Kaffee.“
„Woll‘n wa nich mal bißkin durch den Ort bummeln? Is ja nich mehr janz so heiß. Aba Reiseandenken und so, ach nee.Für son Firlefanz habick einfach keenen Sinn.“
„Habick ooch nich. Schade ums Geld.“

Nachdem wir uns vorgestellt hatten, fragte er; “Sind Sie mit dem Wagen da?“
„Ich habe keinen. Ich kann ja nich mal fahren.“ Er war aber mit dem Wagen da.

Da fuhren wir also. Einmal nach Villach, einmal nach Klagenfurth
und einmal nach Velden .Die ganze Zeit über war es noch immer ganz schön heiß.

„Weißte Klaus, immer hier könnt‘ ick nich wohnen. Und die Dampfer auf der Havel (da mußte ich wieder so lachen) find ick viel schöner, hahaha, als hier.

Viel eleganter. Berlin eben!“ „Na, nu machma halblang. Et is überall so schön wie man sich fühlt. An‘n Neuen See, da sollten wa och ma hin.
Wat meinste?“

Also ja. Meen ick ooch.

Berlin, den 12, August 2012/Lewi

Alle Namen und Orte sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden Personen zufällig.