Einfach loslegen

Einfach loslegen…..

In meiner Kindheit sah man noch viele Leute mit dem Handwagen ihre Habseligkeiten zu einer neuen Wohnung transportieren und ebenso transportierten die Gepäckträger die schweren Koffer der Fahrgäste von einem Bahnhof zum anderen, wenn sie umsteigen mußten. Vom Lehrter zum Anhalter, vom Potsdamer zum Schlesischen Bahnhof; das war noch Knochenarbeit. Da philosophierte man nicht über Sinn oder Unsinn, sondern man arrangierte sich mit den Notwendigkeiten. Na, das waren noch Zeiten – ist ja beinahe märchenhaft. Bei vielen Dingen konnte man sich die geistige Auseinandersetzung zwecks Notwendigkeit gleich sparen – man legte einfach los. Man mußte einfach loslegen, sonst passierte gar nichts. Also nu, leg‘ aber mal los…

Wladimir Iwanowitsch Wernadski, 1863 in Sankt Petersburg geboren und am 6. Januar 1945 in Moskau gestorben, war Geologe, Geochemiker und Mineraloge, einer der Begründer der Geochemie, der Radiogeologie und der Biogeochemie. Er studierte Naturwissenschaften an der Universität von Sankt Petersburg. Er spezialisierte sich für die Gebiete der Geologie und  der Mineralogie beiWassili Wassiljewitsch Dokutschajew. 1888 und 1889 besuchte er München und Paris und auch nach Italien führte ihn seine Reise. 1890 lehrte er als Privatdozent für Mineralogie. 1898 bis 1911 war er als Professor für Mineralogie an der Moskauer Lomonossow-Universität tätig. Über einige gewichtige Stationen hinweg war er ab 1939 Direktor des von ihm gegründeten Staatlichen Radiuminstituts in Petrograd.

Wernadsky stellte zwei Gesetze auf, nach denen

1.die Anzahl und die Arten der chemischen Elemente, die in den Zyklus der lebenden Materie eingehen, mit der Zeit zunimmt

2, diese Vorgänge sich mit der Zeit beschleunigen.

Er popularisierte als erster das Konzept der Noosphäre, also diejenige der Biosphäre, die durch das Bewußtsein des Menschen gesteuert wird. Innerhalb der letzten zweihundert Jahre ist die Menschheit als solche zu großer Bedeutung für die Geologie gelangt, insofern als sie in Summe mehr Erdmasse bewegt als die Vorgänge der reinen Biosphäre.

Ohne Zweifel ist er einer der bedeutendsten Wissenschaftler und ich habe keine Lust, seinen ganzen weiteren Werdegang hier aufzuschreiben, weil man es auch bei Wikipedia nachlesen kann. Was man aber nicht kann, ist die Auslegung seiner Thesen und Gedankengänge, die sehr eindrucksvoll in einem Artikel von L.H. LaRouche jr. nachzulesen sind.

Wernadski über Mensch und Schöpfung.

Wernadskis Grundprinzip der menschlichen Natur ist ein universelles Prinzip, das ausschließlich dem entscheidenden Faktor der menschlichen Gattung eigen ist. Ein Beispiel: Zeit und Raum existieren in Wirklichkeit gar nicht als metrische Prinzipien des Sonnensystems; sie dürfen im Wesentlichen nur als nominelle Annahme zum Zwecke der Verständigung benutzt werden. Da man kompetente Wissenschaft heute nur in Bezug auf die charakteristische Rolle des Menschen in den bekannten Bereichen des Universums ausdrücken kann, ist das menschliche Prinzip im Grunde das einzige Prinzip, das wir für unsere Praxis kennen. Die Begriffe Zeit und Raum sind lediglich nützliche Hilfsvorstellungen. Das Hauptkennzeichen der menschliche Gattung ist das, was sie von allen anderen lebenden Gattungen unterscheidet. Die Grundlage für die kompetente neuzeitliche Wissenschaft bilden dabei die Prinzipien von Filippo Brunelleschi (dem Entdecker des ontologischen Minimums) Nikolaus von Kues (dem Entdecker des ontologischen Maximums) und Johannes Kepler, dem Entdecker des positiven Prinzips für die Menschheit, welches die von Kepler verwendete perfektionierte Tonleiter der menschlichen Singstimme mit dem Grundmaß des Sonnensystems innerhalb des noch größeren Universums der Galaxis und höheren Bereichen des Universums in Übereinstimmung bringt.

Ganz ähnlich verhält es sich mit dem neuzeitlichen naturwissenschaftlichen Standard  in den Beweisen Bernhard Riemanns, dem realen Minimum (in Anlehnung an Brunelleschi) Max Plancks, dem realen Maximum Albert Einsteins und der späteren besonderen Definition menschlichen Lebens durch Wladimir Iwanowitsch Wernadsky. Diese Werte sind jeweils relativ absolute Maßstäbe für die Rolle des Menschen im bekannten Universum. Diese Fakten sind auch wesentlich für den Betrug der „reinen“ Mathematiker und der modernistischen „Musiker“, seit Johannes Brahms den letzten vorbildlichen Standard gesetzt hatte (in der Ära der  Degeneration von reinen Mathematikern wie David Hilbert und den Abbildern eines modernen Satans wie Bertrand Russell oder Tony Blair.)

Das Maß, das grundsätzlich den Unterschied zwischen dem Menschen und sämtlichen anderen niederen Lebensformen ausdrückt, findet sich in dem Vorgang, den man sinnvollerweise die „natürliche Aufwärtsentwicklung der menschlichen Gattung“ nennt – im Unterschied zu allen anderen bekannten Lebewesen. Der Maßstab für diesen Vergleich ist, daß der Mensch sich selbst aufwärts entwickeln kann, und das ausschließlich durch die noetischen Fähigkeiten, der individuellen Fähigkeiten des menschliche Willens.

Außer wenn die Menschheit sich in einem moralisch und physisch degenerierten Zustand befindet, etwa in den Kulturen unter dem Tyrannen Zeus, im römischen Reich und unter dem britischen Empire, erscheinen alle wirklich rationalen menschliche Kulturen bis heute in einer deutlichen Richtung evolutionären Fortschritts, von einer qualitativ niederen zu einer höheren Gattung, Nach seiner praktischen Wirkung betrachtet, entsprich dies im Bereich der Chemie des Lebens einen systematischen Fortschritt, heute sogar Sprüngen in der chemischen Energieflußdichte der Gesellschaft, wenn sie ihre effektive Energieflußdichte durch wissenschaftliche und vergleichbare Fortschritte durch immer neue Aufwärtssprünge erhöht. Kurz gesagt: ein universelles physikalisches Prinzip des menschlichen Fortschritts.

Eine gesunde menschliche Kultur, wie beispielsweise das Christentum, steht für eine Gesellschaft, die, wenn sie diese Verpflichtung ernst nimmt, ihre produktiven Fähigkeiten auf eine höhere Ebene der Existenz pro Kopf erheben kann. Die Gegenbeispiele, die Gesellschaftsmodelle des „Nullwachstums“, wie das des Britischen Empires heute, entsprechen als System immer genau den Tyranneien eines Zeus, des Römischen Imperiums oder des Britischen Empires. Und in den USA repräsentieren die Regierungen von Bush-Cheney und Obama die gleichen Charakteristia des Römischen Reiches und des Britischen Empires. Das bedeutet eine schrumpfende Erdbevölkerung, deren geistige und physische Produktivität zerstört wird, so wie jüngst unter den genannten amerikanische Regierungen.

Chemie, Gradmesser der Geschichte

Wir nennen es „Chemie“. Menschlicher Fortschritt, wie man ihn relativ einfach in Bezug zur Gattung mißt, drückt sich gewöhnlich in einer zunehmenden Vormacht des menschlichen Lebensprinzips gegenüber den Fähigkeiten tierischer Lebensprozesse allgemein und als relativ absolute Überlegenheit gegenüber nichtlebenden Prozessen aus, was der Mensch mit seinem willentlichen Eingreifen erreicht. Fortschritt gibt es somit nur im Rahmen eines ständigen zunehmenden Anstiegs der Produktivkräfte der menschlichen Gattung. Dieser Fortschritt definiert den absoluten Unterschied der menschlichen Gattung zu allen anderen uns derzeit bekannten Gattungen. Eine Regierung des Volkes, die eine Politik des „Nullwachstums der Bevölkerung und des Lebensstandards pro Kopf“ betreibt, ist moralisch und praktisch verabscheuungswürdig.

Der Mensch ist für die Menschheit das einzige wirkliche Maß der Geschichte in unserem Sonnensystem und allem, was sich darin verbirgt. Und das ist nichts anderes als die menschliche Gattung in ihrer erhabenen Bedeutung und ihren unendlichen Errungenschaften – heute im sonnennahen Weltraum, auf dem Wege hin zur Beherrschung der Sonne und des Sonnensystems, wie es Johannes Kepler (tatsächlich nur er allein) damals entdeckt hat. Eine Fusionsökonomie ist der dringende nächste Schritt, damit der Mensch seine Macht im Sonnensystem und später darüber hinaus entfalten kann.

SPLITTER (6)

Die Stätten der Begegnung

Nach einer gewissen Zeit des Umherirrens und dem Zwischenaufenthalt an den unmöglichsten Orten hatte man nun endlich in einem sogenannten Kiez eine Bleibe gefunden, mit dem erschreckenden Unterbewußtsein, daß man sich aus dieser Situation wohl niemals selbst befreien könne, um irgendwann einmal wieder individuell zu leben. Aber – schließlich war man ja keine Ausnahme. Wie es im Rüttlischwur so schön heißt: „Wir wolllen sein ein einig Volk von Brüdern“ gab es in diesem Volk mehr Uneinigkeit, Neid und Mißgunst als sonst in Beispielen in der Literatur. Schon allein durch die Viersektorenstadt gab es eine Menge Gründe, sich nicht grün zu sein, und dann gab es trotz allem noch einen großen Bevölkerungsanteil, der n i c h t ausgebombt war, der Beziehungen hatte, der gesellschaftlich dank entsprechender Verbindungen wieder tonangebend war, und viele kleine Leute, die ihr Leben fristeten in dem Bewußtsein, daß sich ihre Zukunft nie ändern würde, weil es die anderen überhaupt nicht zuließen. Man lebte eben.

Und viele junge Mädchen und Frauen hatten ihre „Beziehungen“ zu den jeweiligen Besatzungssoldaten, die oft ziemlich großzügig waren und deren Familie gleich mit ernährten. Was den entsprechenden Damen auch gleich wieder Ansehen verschaffte, denn sie konnten repräsentieren. Viele Familien lebten ohne Vater, aber im Gegensatz zu den später verbreiteten Behauptungen. daß es im Hitler-Reich kinderreiche Familien gab, dir dem „Führer“ Soldaten schenkten, war das eine absolute Minderheit. Ich kann mich nicht erinnern, daß es Familien mit vielen Kindern gab. Während meiner ganzen Schulzeit hatten die Familien ein oder zwei Kinder, sehr viele gar keine. Und wenn es ausnahmsweise drei waren, sah man sie schon irgendwie schräg an. Denn zu dieser Zeit wachte man auch wie die Geier über die Sexualität, ob katholisch oder nicht, Die Männer waren im Krieg und die Frauen in der Fabrik, und die Kinder größtenteils sich selbst überlassen. Und der Rest der Bevölkerung, ältere Frauen, die in verschiedenen Organisationen tätig waren, rechneten ständig nach, wie oft man hatte, wenn jedmand drei Kinder – also wirklich. Denn eine deutsche Frau war sauber. Und die jungen Frauen mit den Besatzern – na hören Sie mal-! Aber auch diese hatten einen Anspruch auf Zukunft, auf Leben und Überleben und warum sollten sie eigentlich nicht.

Und wenn man sich heute erinnert: es war eigentlich eine aufregende und trotzdem auch eine schöne Zeit. Die Zeiten sind ja nicht unbedingt schön im Überfluß, sondern schön ist, was einem die vorhandenen Gelegenheiten erlauben zu tun. Und eine davon zum Beispiel war: man konnte ins Kino gehen. Man konnte ins Theater gehen. Man konnte tanzen gehen. Man konnte S-Bahn fahren. Man konnte Baden gehen. Man konnte… alles mögliche. Man hatte Lebensmittelkarten, irgendwann gab es so eine Art Besatzungsgeld, die Blockade und die Stromsperren hatte man irgendwie überstanden und irgendwann gab es angesehene Politiker, die in Berlin Geschichte machten.. Man hatte ein kleines Radio, die „Berliner Morgenpost“ und wenn auch kaum Möbel und keinen Wintermantel, keine festen Schuhe – man hatte einen Sack voller Erinnerungen und noch lebten Papa, Mama, Oma und „man“ verließ mit 14 die 8.Klasse der Volksschule um vom Arbeitsamt gleich eine Stelle zugewiesen zu bekommen. Als zahnärztliche Helferin in Wittenau.

In den drei westlichen Besatzungszonen trat die Währungsreform 1948 in Kraft. Alle bisherigen Zahlungsmittel erloschen außer Kleingeld bis zu einer Mark. Ebenfalls behielten zunächst noch Briefmarken ihren Wert. Na, wer schreibt schon was an wen, um da Vorräte angelegt zu haben. Ich glaube, man konnte 1 : 1 60 RM umtauschen, falls man so viel besaß. Ich weiß auch nicht mehr, ob pro Person. Meine Mutter arbeitete in der Provinzstraße in einem Keller und spülte Flaschen, mein Vater arbeitete bei Argus in der Flottenstraße und strich Maschinenteile mit stinkender grauer Farbe an, und ich fuhr nach Wittenau zum Zahnarzt. Mein Bruder war von der Kinderlandverschickung in den Schwarzwald vermittelt worden und hatte es dort anscheinend ziemlich gut. Er ging dort auch zur Schule.

Zu dieser Zeit wohnten wir noch in Reinickendorf, bevor wir dann in dem zuerst erwähnten Kiez erst mal eine Bleibe von 27 Jahren gefunden hatten. Man begann, sich bereits damit abzufinden. Alles Gewöhnungssache sage ich mal. Immerhin – Wie in meinen Artikeln in: Meine Stadt – Meine Liebe über meine ersten wirklichen Berufsjahre nachzulesen: das hatte schon was!

Berlin, den 25. Juli 2014/Lewi

SPLITTER (5)

Noch war nicht allzu viel vom Krieg zu merken, oder vielleicht hatte man das auch irgendwie ignoriert. Wir lebten in Berlin, wir liebten Berlin – mein Vater war ein waschechter Berliner, und mein kleiner Bruder und ich waren auf dem besten Wege, unverwechselbare Berliner zu werden. Auch die Oma liebte Berlin, schon weil das Schloß, der Dom, speziell der französische, das Zeughaus, die alte Wache und das Brandenburger Tor sich dort befanden, der Invalidenfriedhof wegen der „Bekannten“ und der Jüdische Friedhof, ebenfalls wegen der Bekannten. Noch konnte man da überall unbehelligt hingehen, und meine Oma hätte sowieso jeden Feldherrn ersetzen können, mit dem Stock, dem festen Blick und dem schwarzen Filzhut, der wie ein Dreispitz geformt war. Sie hatte es nun mal mit Fritz. Na warum auch nicht – jeder sollte nach seiner Fasson selig werden (können und bleiben), das funktioniert, wenn man es nachdrücklich genug proklamiert. Hab‘ ich ausprobiert.

Der Onkel mit den schicken Autos war inzwischen eingezogen worden, aber mein Papa war ihnen, bis jetzt jedenfalls, Gottseidank zu alt. In die Partei trat er nicht ein, dafür mußte er allerhand besondere Arbeiten übernehmen. Die Beamtenschaft der Behörde war, überhaupt die jüngeren Jahrgänge, bereits eingezogen worden und die, ich sage mal lässig, mittleren Jahrgänge und wichtige Persönlichkeiten zunächst Offiziere. Man kannte sich und machte (noch) seine Glossen: „ja, ja – der Flachs blüht!“ meinte meine Mutter. Sie hatten ja selbst genügend schlimme Zeiten hinter sich und da machte sich so eine Art Galgenhumor breit. Denn dem Unabänderlichen kann man sich nicht entziehen. Das hatten wir als Kinder auch schon mitbekommen.

Na jedenfalls, durch die relativ kurzen Fußwege waren große Spaziergänge in die unmittelbare Umgebung angesagt, und bei der Gelegenheit fand dann auch gleich immer so eine Art Heimatkunde statt. Es war schön, an sonnigen Sonntagnachmittagen fein angezogen und gut riechend durch den Tiergarten zu flanieren, zum Beispiel durch die Puppchenallee, denn da standen die ganzen Denkmäler. Und in den Zelten spielten Kapellen die neuesten Schlager und auch mal einen Marsch, und die Eltern tranken Kaffee und aßen den mitgebrachten Kuchen, den mein Papa gebacken hatte. „Mammatschi, schenk mir ein Pferdchen….“ sang die Dame im langen Kleid und untermalte den tragischenText mit entsprechenden Handbewegungen. Ach ja, „lauf nicht so weit weg, sonst findest du nicht wieder zurück!“ Ich hätt‘ schon allein nachhause gefunden. Neben den breiten Wegen lief eine Sandbahn einher, wo Militär hoch zu Ross das elegante Bild abrundete, ähnlich wie Rotten Row im Hyde-Park. Es war schön, es war (noch) friedlich und irgendwie hatte man so ein erhebendes Gefühl. Nur ganz weit unten im Bauch ballte sich etwas zusammen. Das kam, weil man (ich jedenfalls) schon als Kind „viel zu viel“ mitbekommen hatte. Vom ersten Krieg, wo mein Vater in Frankreich und in Rußland war, von Mutter, Oma, Onkel und Tante von der Vertreibung aus Polen und von den schweren Zeiten nach dem ersten Weltkrieg. Na, eines hatte ich von Anfang an begriffen. ohne Humor geht schon mal gar nichts.

In die andere Himmelrichtung führte uns ebenfalls ein Standardausflug, und zwar einer auf den Kreuzberg. Das war der Victoria-Park, und auf diesem Kreuzberg, der sicher dem Bezirk den Namen gegeben hatte, hatte man wohl sogar schon mal Wein angebaut. Es gab dort auch einen ziemlich hohen Wasserfall, der von innen künstlich beleuchtet wurde. Und eine ganze Reihe große Volieren, in denen die verschiedensten Raubvögel gehalten wurden. Die mochte ich nun nicht so sehr; ich fand, „iiih, die stinken ja!“ Der Kreuzberg ist über 60 Meter hoch, und manche Wege gehen steil nach oben. Dort gibt es auch ein Schinkel-Denkmal, das die Grundform des Eisernen Kreuzes hat und an die Befreiungskriege erinnern soll..Also, das war auch so ein Standard –  Spaziergang, und mehr als Wasserfall, Raubvögel und Denkmal war die Tatsache interessant, daß der Rückweg an einer Eisdiele vorbei führte und wenn mein Vater regelmäßig so tat, als wäre sie überhaupt nicht vorhanden, wir uns hemmungslos mit, Trotz, Wut, Zornesausbrüchen Luft machten und dann meistens verheult doch noch in den Genuß einer „großen“ Erbeer-Vanille kamen. Die Straßenbahn brachte uns wieder müde zurück, und mein Bruder war regelmäßig eingeschlafen. Und ich bockte regelmäßig und beklagte mich, daß wir jedes Mal so ein Affentheater wegen einer Eiswaffel machten.

Aber als wir dann endlich todmüde im Bett lagen, sagte ich öfter: „ach Pappa, erzählre doch noch einmal, wie ihr das Spanferkel gebraten habt, daß du auf das Bajonett gespießt hast, und wie ihr es gebraten hattet und die Russen sind zum Essen gekommen und ihr habt gesungen, und am anderen Tag auf einmal war Beschuß, weil sie Befehl bekommen hatten …. Ja, Onkel Gustav war dabei, sie waren immer zusammen, seit der Buddelkiste.

Später, als ich in einem Altenheim im Büro arbeitete, hat mir ein sehr alter Herr sein Tagebuch aus dem ersten Weltkrieg geschenkt, das er mal führte. um es seiner Freundin nach dem Krieg zu geben, falls er überlebt. Sie ist leider schon vorher ums Leben gekommen. Und in diesem Tegebuch steht, wie sich an ruhigen Tagen die feindliche Soldaten gegenseitig besuchten, bis Befehl kam und sie wieder Krieg spielen mußten. Das war teilweise sehr herzergreifend. Ich habe dieses Tagebuch meinem Sohn gegeben, dem zum Glück ein ähnliches Schicksal erspart geblieben ist. Ich weiß nicht, ob er es noch hat. Bestimmt in irgendeinem Karton, in dem man alles möglich aufbewahrt.

Berlin, den 24. juli 2014

SPLITTER (4b)

Das Haus in der Feilnerstraße 1, in Berlin SW 68

Dennoch wurde das Haus mit seinem blühenden Garten , den tönernen korinthischen Säulen, den zahlreichen Fresken und der kleinen Kegelbahn zur Attraktion und später zur Legende. Noch heute ist das „Feilnerhaus“ ein Begriff. Nach Feilners Tod hielt schließlich auch die gehobene Gesellschaft Einzug im Feilnerschen Haus, Mendelssohn fand sich in der ehemaligen Hasenhegerstraße ein, die jetzt Feilnerstraße hieß, und wo einst die schweren Kugeln der heimischen Kegelbahn rollten, erklang Quartettmusik und floß Champagner.

Über Jahre belebten Musiker und Künstler das Haus, bis ein Bildhauer namens Walsleben einzog, mit seinem stinkenden Widder, einem ausgestopften Adler, anderem „getrockneten Getier“ und der Mumie eines seiner Kinder „mit eingefallenen Augen und schiefem Mund achtlos und bestaubt.“ Der merkwürdige Walsleben aber war der letzte Künstler im Feilnerhaus. Danach zog die Industrie ins Haus des Kachelfabrikanten. Und lebte der alte Feilner noch, er hätte es wahrscheinlich begrüßt. Weberschiffchen sausten, Nähmaschinen surrten und Webstühle knarrten. Bis eine Bombe das Haus (nicht nur, sodern beinahme die gesamte Feilnerstraße) zerstörte. 1962 wude das Haus (die Ruine) endgültig abgerissen. Heute steht ein schmuckloses Seniorenheim an seiner Stelle. Meine Erinnerung bezieht sich nur immer auf den Innenhof, auf ein verträumtes Refugium, mehr gefühlt und geahnt als erkundet.

Feilner, dessen schmales Profil mit der Hakennase eher an römische Feldherren erinnert als an feiste Handwerkermeister,hatte den Titel des „Hoftöpfers“ und des „akademischen Künstlers“ erhalten, seine Terrakottaplastiken und seine Kacheln schmückten bedeutende Bauwerke, er kreierte den „Berliner Kachelofen“, Doch die Geschichtsschreibung erwähnt den Töpfer nur selten. Literatur über ihn ist rar; selbst im Personenverzeichnis der vielen Biographen über den Stararchitekten Schinkel sind unter „F“ meist nur Berühmtheiten wie Fontane, Fontaine und Fichte. Auf der Gedenktafel der Werderschen Kirche mit ihrem Schinkelmuseum bleibt Feilner unerwähnt, seine Büste dort ist eine unter vielen. Der Töpfer blieb eben ein Töpfer. Feilners Grabstätte war auf dem Luisenstädtischen Friedhof. Sie ist inzwischen eingeebnet worden.

Ehe die Spuren verwehen – ich wüßte nicht, wer außer mir überhaupt noch eine Erinnerung an die alte Feilnerstraße haben könnte. Mit dem Hintereingang der Post Linden/Ritterstraße, mit Stüwe, dem Milchkeller und Ton, dem Kohlenkeller, Mit der „Eierstelle und der Kegelbahn, mit dem kleinen Lebensmittel-Keller, dem hinter einem großen Zaun aus Eisenstangen bewehrten Vorplatz der Reichsschuldenverwaltung, in dem ein paar Akazienbäume standen.

SPLITTER (4a)

Tobias Christoph Feilner schien sich ohnehin in der Rolle des Handwerkers und des Fabrikanten wohler zu fühlen als  in der des Künstlers. Aus der ehemaligen Höhlerschen Töpferei mit ihren sieben Angestellten wurde eine Fabrik mit mehr als hundert Beschäftigten und die Attraktion der Straße. Doch auch, wenn sich immer mehr neugierige in der Straße einfanden und der Erfolg schmeichelte, änderte Feilner seine Gewohnheiten nicht. Zeit seines Lebens fuhr er mit seinem Kutscher Schröder persönlich zu den Kunden, sah nach dem Rechten, „zog die Weste aus und legte selbst mit Hand an, wenn es nötig war,“ Sein Mittagessen nahm er in einem kleinen Holzzimmer ein, das als Kontor diente, und von wo aus er das ganze Fabrikwesen überschauen konnte. „Da roch es nach schlechtem Kaffee, den Schröder in lappigen Löschpapiertüten drüben von Musje holte, und nach dem besseren Tabak, den Meister Feilner aus langer weißer Tonpfeife schmauchte.“ Abends dann saß er über Büchern und Ordnern und wurde nicht selten am nächsten Morgen von Schröder schlafend am Schreibtisch gefunden.

Feilner war ein braver Handwerker, kein Haudegen, kein Lebemann. Ein Schoppen Wein am Wochenende und „ein Kegelclub in der benachbarten Tabagerie“ Das genügte ihm. Ab und an feierte man einen Geburtstag, doch nicht viele, da von den sechs Kindern Feilners nur zwei groß wurden. Seine Frau, die Tochter eines betriebsamen Musikers, war zwar musikalisch, doch war ihr nach Tanz nicht zumute..Sie lahmte und lag am liebsten auf dem geblümten Sofa. Gegssen wurde auf den Festen zwar standesgemäß, doch bedächtig. Ein Gelage gab es nicht, und es soll Gäste gegeben haben, die verärgert die Tafel verließen, da man um sieben Uhr noch immer nicht beim Braten angelangt war, obwohl schon um halb Vier das Rindfleisch gereicht wurde. So ging alles seinen Gang, und so hätte es auch weitergehen können, bis zum Schluß.

Aber dann trat doch noch eine Wende im Leben des Handwerkers ein. Schinkel entdeckte den Kachelkünstler und sann darüber nach, die großen Flächen seiner Ziegelbauwerke mit den glänzenden Produkten Feilners zu verblenden. Feilner bekam den Auftrag, die Werdersche Kirche mit Ornamenten aus Keramik zu verzieren. Gemeinsam mit seinem Schwiegersohn schuf er Fresken und Skulpturen.Wieder war der Erfolg groß, Doch während Schinkel an weitere Prachtbauten dachte, wuchs in Handwerker Feiler, wie Schinkel selbst es formulierte, „der Wunsch, diese Fabrikation noch gemeinnütziger und für gewöhnliche Bürgerhäuser nutzbar zu machen.“ Also entschlpß sich Feilner, in der Hasenhegerstraße ein Haus für seine Familie zu bauen. Schinkel, so schreibt man, schenkte Feilner einen Entwurf, doch so pompös wie Schinkel zeichnete, wollte Feilner nicht bauen. „Das Unbehagen des einfachen Handwerkers“ dem „ein so prächtige Rahmen für seine Lebensgewohnheiten“ zu unbescheiden schien, war stärker als der Respekt genüber dem Stararchitekten..Feilner realisierte nur einen Teil von Schinkels Plänen.

Und den interessanten Rest dieser bemerkenswerten Story – mal sehen. Morgen ist auch noch ein Tag! Hoffentlich nicht so heiß – klebt einem ja alles am Körper.

SPLITTER (4)

Die ersten und wohl auch die schönsten Jahre meines Lebens wohnten wir in der Feilnerstraße in SW 68, das ist heute ein Teil von Kreuzberg. – AUS EINER LÄNGST VERGANGENEN ZEIT – hatte ich schon mehrmals davon erzählt, aber ich glaube, bis ins zweite Kriegsjahr hinein, auf jeden Fall gab es bereits laufend Bombenangriffe, wohnten wir dort noch, bevor wir in die Oranienstraße umzogen.

Ich glaube, in der ganzen Feilner Ritze wohnten sieben Kinder, aber auch alleine konnte ich mich immer gut beschäftigen. Da wir in den paar Wohnhäusern auch gerne Verstecken spielten, nahm man so Haus für Haus in Augenschein – ich glaube, nur Nummer sieben hatte einen kleinen Seitenflügel, und natürlich mein geliebtes Haus Nummer Eins. Da allgemein schon einige Kinder evakuiert waren, d. h. teiweise Verwandte auf dem Lande hatten, war ich mir oft ziemlich allein überlassen; aber da ich sowieso immer Einzelgänger war und eine rege Fantasie hatte, störte es mich nicht besonders. Allzu viel Gesellschaft im Übermaß empfand ich immer schon als störend. Das Haus Nummer 1, das unmittelbar an das Gelände des Postamtes stieß, hatte es mir schon als kleines Kind angetan. Es atmete Romantik pur und wenn die Sommersonne in den alten Hof schien und der staubige Geruch der Pflastersteine in die Nase stieg und der Lindenbaum (ich glaube, es war einer) tanzende Schatten über den Hof verteilte, dann saß ich schon mal auf irgendeiner Stufe oder einem Stein und erzählte meinem Teddybär wundersame Geschichten. Da zuhause sowie so viel von „früher“ erzählt wurde und es eine ziemlich lange Zeit rückwärts umfaßte und ich natürlich auch zuhören durfte, wurde ich auch gewöhnlich mit den Worten: „Jaja, sie hat eine rege Fantasie“ vorgestellt, was die meisten überraschte, denn ich war ein stilles Kind. Diese Feststellung betraf eigentlich nicht meine Äußerungen, sondern mehr meine Fragestellungen. Da möchte ich mal lieber sagen, die Befragten hatten keinerlei Fantasie oder Vorstellungskraft. Vielleicht war es ja auch eine Zeiterscheinung – wahrscheinlich war Realität angesagt. Ich konnte aber lesen –

In der Kreuzberger Chronik habe ich eine Abhandlung über die Feilnerstraße entdeckt. Und über ihren Namensgeber, den Töpfermeister Feilner, der einen Teil Berliner Geschichte verkörpert. Die Straße gibt es ja noch, aber wie alles andere auch ist sie der modernen Architektur anheim gefallen.

Sie haben noch immer etwas von ihren alten Glanz. Sogar dann noch, wenn sie zerbrochen unter einem staubigen Haufen aus Schamott und Ruß und Tonziegeln enden; die cremefarbenen Kacheln der Berliner Kachelöfen. Fast zweihundert Jahre lang prägten die großen Öfen das Aussehen der Berliner Zimmer: kleine, wärmespendende Monumente, die ein Leben lang in der Ecke standen und doch stets so etwas wie der Mittelpunkt des Lebens waren. Die glänzenden Kacheln des Tobias Christoph Feilner machten die sogenannten „Berliner Kachelöfen“ weit über die Grenzen der Stadt hinaus berühmt. Sieben Jahre lang hatte Feilner, der in einer Töpferwerkstatt in der Hasenheger Gasse arbeitete, seine Freizeit geopfert, um sich Vorlesungen über Chemie und Physik anzuhören und in der Mineralogie auszubilden. Vor zweihundert Jahren war es so weit: der Angestellte Feilner entwickelte 1804 ein Verfahren zur Herstellung einer Unterglasur auf den bis dahin stumpfen Tonkacheln, das der Höhlerschen Töpferwerkstatt ein „zehnjähriges Privileg“ des Preußischen Staates zur Herstellung von Ofenkacheln einbrachte. Der Chef der Werkstatt war über dieses Patent so erfreut, daß er Feilner erst zu seinem Teilhaber, und später zu seinem Erben machte.

Doch Feilner, der eingewanderte Sproß einer Handwerkerfamilie aus der Oberpfalz, experimentierte so lange mit seiner Glasur, bis er endlich jene porzellanartigen, hellen Kacheln herstellen konnte, die noch heute auf den Öfen in den Wohnungen der Studenten, der Arbeiter und Sozialhilfeempfänger in Wedding, in Neukölln und manchmal auch in Kreuzberg zu finden sind. Zwar fertigte Feilner nebenbei immer schon kunstvolle Einzelstücke, Kacheln für die Meisterwerke der Ofenbaukunst, die bis nach Italien und England verschifft wurden. Darüber hinaus verzierten seine Arbeiten nicht nur Öfen, sondern auch die Innenräume einiger Kirchen. Feilner verstand sich auf die Herstellung großer Fresken. Seine nur in zwei große Platten gebrannte „Apotheose der Königin Luise“ (…) „im Königsstuhl der kleinen Dorfkirche zu Paretz“ ist ein Kunstwerk. Doch von diesen aufwendigen Arbeiten allein konnte die Töpferei nicht leben. Also gingen Feilners Kacheln in Serienproduktion.

Und weil ein authentischer Bericht über die Geschichte einer Stadt und der Menschen, die mit dazu beitrugen, ihr ein Gesicht zu geben, so interessant ist, werde ich die Geschichte demnächst fortsetzen. Aber jetzt nicht – jetzt habe ich nämlich Hunger. Lewi

Zu jedem Topf find‘ sich ein Deckel

Zu jedem Topf find‘ sich ein Deckel
(sagt man jedenfalls.)

In dem kleinen Cäfè waren alle Plätze besetzt, aber draußen waren noch zwei Tische frei, denn es war ein bißchen windig und das Wetter konnte sich nicht so richtig entscheiden, ob es nun regnen wollte oder nicht. Über die Stuhllehnen waren wollene Decken in leuchtendem Rot ausgebreitet, für den Fall, daß man mal vor Kälte bibberte. Aber es war nicht kalt, sondern nur ungemütlich. Das Wetter. Ich deponierte meine Einkäufe gleich auf dem Nachbarstuhl und machte mein liebenswürdigstes Gesicht, um eventuelle Tischgenossen gleich davon abzuhalten, zu fragen: „Ist hier noch frei?“ weil noch ein dritter Stuhl am Tisch stand. „Der Herr mit der Tigerdogge kommt gleich!“ ließ ich den jeweiligen Interessenten dann freundlich lächelnd wissen. Dann näherte sich aber eine sehr freundlich aussehende ältere Dame und fragte höflich: “Erlauben Sie?“ Ja, natürlich. Sonst wäre es ungezogen gewesen, denn am Nachbartisch plumpste fast im gleichen Augenblick ein nicht mehr ganz junges Paar auf die Sitzgelegenheiten nieder. Er war groß, drahtig und trug einen weißgrau melierten Bürstenhaarschnitt, und sie, eigentlich schlank, hatte einen Balkon, der einen fast das Fürchten lehren konnte. Sie hatte ihr rotes Haar zu einer Art Dutt mitten auf dem Kopf frisiert und erinnerte mich an ein Plakat von Toulouse-Lautrec „La Goulue“.

Eine Art Bäckergeselle in weißer Leinenhose und weißem, kurzärmeligen T-Shirt mit einem rot-weiß-karierten Küchenthandtuch um den Bauch, frage die Gäste höflich nach ihrem Begehr. Meine Tischnachbarin begehrte heiße Schokolade und einen gefüllten Liebesknochen. Sie lächelte ein bißchen und meinte entschuldigend: „Manchmal habe ich einen unglaublichen Heißhunger auf etwas schokoladiges – !“ „So hat eben jeder seine Vorlieben – ich könnte in Latte macchiato baden und mich in Tiramisu wälzen!“.Also, man könnte ja nur, aber natürlich tut man so etwas nicht.

Ich hatte gar nicht bemerkt, daß das Paar am Nebentisch inzwischen bereits bedient worden war und der Kavalier ein Bier vor sich stehen hatte, während Madame aus einer beachtlichen Glasschale Eis mit Fruchten und Sahne löffelte, das mit allerhand exotischen Früchten außerdem noch dekoriert war. „Das schaffst Du doch gar nicht, Irmgard“ sagte der Herr und schaute mißbilligend auf die riesige Eisschale. „Mußt du denn unbedingt immer das größte und das teuerste bestellen – und den Rest läßt gnä‘ Frau dann wieder stehen! Für‘s Personal!“ beendete er seinen Satz mit einer abfälligen Handbewegung. „Erzähl mir man bloß nich, dit dit für heute dein letztet Bier is, Biswa zuhause sind, krauchste wieder iuff alle Viere. Und wer stützt dir denn, he? Icke!“

Nach einigen Schweigeminuten sagte er: „Wir könnten doch nachhause laufen. Sonst müßten wir wieder umsteigen und um diese Zeit ist die Bahn ziemlich voll-!“ Sie hatte den linken Arm auf den Tisch gelegt und den rechten mit dem Ellbogen aufgestützt und loffelte langsam das Eis in sich hinein .Nun stützte sie mit der Linken das Kinn in die Hand, kaute auf einer Frucht herum und antwortete ihm mit halb geöffneten Mund: „Loofen, ja? Haste vielleicht mal jesehen, welche Schuhe ick heute anjezogen habe, damittick standesjemäß neben Dir herstöckeln kann? Damit jehe ick heute nich mehr einen ein -zi – jen Schritt. Und denn dit Wetta. Vielleicht regnet es noch und denn bekomme ich nasse Füße und die Sohlen sind hin. Nee mein Lieber Gunter, von dit Ferd komma gleich wieder runta.

Gunter hatte nun auch ein weiteres Bier bestellt. „Und wie haben sich Madame die Heimfahrt vorgestellt. Soll der Sechsspänner vorfahren?“ „Mach bloß nicht so‘n Bekotzten, weeßte. Ne Taxe kostet doch keen Vermögen. Oder soll ich vielleicht auf Strümpfe loofen und meine Schuhe in de Hand tragen. Zuzutrauen wäre et Dir, daß Du mir solches zumutest.“

Gunter blicke etwas nachdenklich auf seine Dame. Nach einer Weile sagte er: „Entschuldige, ich muß mal für kleine Jungen.“ Dann zog er sich in das Lokal zurück. Da es voübergehend nichts zu hören gab, änderte ich ein bißchen meine Sitzrichtung und nickte meiner Tischnachbarin zu, die sich einen zweiten Liebesknochen einpacken ließ, „Für zuhause“.Dann zahlte ich auch und brach auf. Am Nebentisch hatte Irmgard ihren Kopf in beide Hände gestützt und stierte in die leere Eisschale, Die Schuhe hatte sie ausgezogen und die Füße oben drauf gestellt. Ob Gunter schon mal vorgegangen ist? Zu Fuß? Nachhause?

Herzlichst eingeladen

Arnold wurde übermorgen vierzig. „Du bist herzlichst eingeladen“ ließ mich seine angetraute Eheliebste wissen. Na ja, in schöner Regelmäßigkeit wiederholte sich dieser Geburtstag Jahr um Jahr, und ich überlegte, was ich diesmal für ein Geschenk mitnehmen würde. Die Frage erübrigte sich eigentlich von selbst, es handelte sich nämlich stets um etwas Alkoholisches. Nur: welche Sorte?

Inzwischen war es Übermorgen geworden, und ich hatte einen guten Himbeergeist besorgt. Gerade wollte ich mich auf den Weg machen, als der Anruf kam. „Wir treffen uns gegen 16 Uhr auf dem Parkplatz Priesterweg, denn wir feiern diesmal bei Arnolds Kollegen Heini, der hat heute auch Geburtstag. „Was ist denn das für ein Heini?“ wollte ich wissen. Na, der Heinrich Kasperke, den hast Du bei uns bestimmt auch schon mal gesehen, der mit der schwarzhaarigen Frau, Britta, die mit dem tollen Rezept für Rhabarberkuchen!“ „Ach was! Hatten die nicht auch einen Hund?“ „Jaja, aber den mußten sie leider einschläfern lassen. Jetzt haben sie einen Papagei!“ „Was du nichts sagst. Und, sagt der was?“ „Das weiß ich doch nicht, ich habe ja mit denen auch nicht so einen engen Kontakt!“ „Nicht?“

Na, ich wickelte das Geschenkpapier um die Flasche und machte mich auf den Weg. Auf dem Parkplatz am Priesterweg parkte der Opel. Ich durfte nach vorne zur Wagenlenkerin, Melitta. Auf dem Rücksitz hatte sich das Geburtstagskind schon etwas lässig ausgestreckt und gab sich Mühe, mit dem Ellbogen nicht in der Schüssel mit dem Kartoffelsalat zu landen. „Nnna, Du f-flotte Bie-biene, was haste denn für mich mmmit-jebracht, Fusel?“ „Arnold“ kam scharf und befehlend ein Ausruf von Melitta. Ein leichtes Grauen befiel mich bereits und ich suchte krampfhaft nach einem Ausweg, um irgendwie zu türmen. Aber da waren wir schon fast in Lichterfelde angekommen und hatten auch im Gardeschützenweg einen Parkplatz gefunden. Melitta trug die Schüssel mit Salat und Arnold stimmte ein frohes Liedchen an und wollte mir scherzhaft schon sein Geburtstagsgeschenk entreißen.

Es war angenehm warm und ein leises Lüftchen wehte. „Das ist der Früüüh-ling, das ist der Früüüh-ling, das ist der Frü -hü-hüling von Berlin ließ sich Arnolds Stimme weitgehend vernehmen, und anschließend mit kraftvollem Umba-Umba-Umba- Täteräh zogen wir in die Parterrewohnung bei Kasperkes ein, wo schon ein paar Kollegen und ein paar ernstblickende ältere Familienmitglieder erwartungsvoll am Kaffeetisch saßen. Auf mich machten sie einen verängstigten Eindruck. Zumindest die Familienangehörigen. Denn mit täterä, täterä, täterätetätätä fielen sich die beiden Geburtstagskinder freudig um den als, wobei der Gummibaum umfiel. Die schwarzhaarige Frau Britta hatte selbstredend auch einen Rhabarberkuchen gebacken, und dann auch noch einen klassischen Napfkuchen. Mit Rosinen. „Die Popel essick abanich“ ließ sich Arnolds Nichte Nicole sogleich vernehmen. Es kam noch ein weiterer Kollege mit Gattin und zwölfjährigem Sohn, Bertram und Isolde Kettler und ihr Ableger Rudolf. „Rudilein, guck mal, Käsekuchen. Den magst du doch sooo gerne“ beeilte sich Melitta, ihre hausfraulichen Talente hervorzuheben.

Nach dem friedfertigen Kaffeeklatsch beschlossen die Geburtstagskinder und noch weitere männliche Gäste, die mitgebrachte Alkoholika zunächst mal zu probieren. Also probierten sie, und zwischenzeitlich wurde auch mal eine Dame zum Tanzen aufgefordert. Im Hintergrund des geräumigen Zimmers hatte man einen Tapeziertisch aufgebaut, auf dem inzwischen schon mal die Schüsseln und Teller für das abendliche kalte Buffet angeordnet waren. Die Stereoanlage dröhnte, die Männer grölten, die Frauen quietschten, die Kinder motzten. Ich versuchte mich zu orientieren, wie ich mich unauffällig aus diesem Chaos entfernen könnte. Der Geräuschpegel stieg. Es wurde temperamentvoll getanzt. Arnold hatte Frau Sternke gepackt, die Buchhalterin aus seiner Firma. Er schwang sie temperamentvoll durch das Zimmer, und da sie eine zierliche Person war, hob er sie kraftvoll in die Höhe und setzte sie mit einem herzhaften Juchzer in den Kartoffelsalat.

Angesteckt von dem fröhliche Treiben hauten sich die Kinder die noch kaltern Bockwürstchen auf die Köpfe, und die Schwiegermutter suchte ihre Handtasche und ihren Gatten und den Ausgang aus diesem Tohuwabohu. Ich hatte mich in die Küche verkrümelt und fragte, ob ich was helfen könne. Hoffentlich sagt sie nicht ja, die Hausfrau, dachte ich. Aber sie lehnte mürrisch ab. „Mir reichts!“ sagte sie wütend.

Dann sah ich Melitta, ihren Arnold trotz jeden Widerspruchs nach draußen schieben und  chloß mich schnellstens an. Er war wohl schon kurz vorm Delirium. Wie eine Rakete schoß er auf den Opel zu, erwischte die davorstehende Laterne, an der er Halt fand und drehte sich wohl 20 mal im Kreise, während seine Gattin die hintere Türe öffnete und mit einem letzen Schwung fiel er auf die Rückbank. „Steig ein“ sagte Melitta und öffnete mir die Vordertür. „Ach danke“, sagte ich, “ich muß noch ein bißchen frische Luft schnappen und ein Stückchen laufen. Die S-Bahn fährt ja auch noch.“

Geburtstage sind mir inzwischen ein Greuel.
Wenn man es vermeiden kann….

Laß dir bloß nicht wieder was vom Pferd erzählen

Soll heißen: Fall nicht rein auf das, was sie dir da weismachen wollen. das war nämlich so:

Vor einigen Jahren siedelte eine mir bekannte Familie sich in einer Ödnis in Schleswig- Holstein an, um dem Großstadtrummel zu entfliehen. Nach einigen Jahren entfloh sie aber der Ödnis und zog nach Hamburg, was ja nicht unbedingt ein ruhiges Leben versprach. Aber immerhin….

Nun geschah es, daß ich ganz zufällig auf einer Heimreise mit Bekannten in einem kleinen Ort nicht allzu weit weg von Kappeln an der Schlei in einem Gasthof übernachtete, und da es zeitig dunkel wurde und auch ziemlich ungemütlich war, denn die Regenböen rauschten unentwegt über die Fensterscheiben, man sich noch zu einem gemütlichen Beisammensein mit den übrigen Gästen und Einheimischen zusammenfand. Plötzlich nannte Jemand den Namen des kleinen Ortes, der mir bekannt vorkam. So nahm ich meine Tasche und setzte mich wie zufällig ganz nahe zu diesem Kreis, und da niemand von mir Notiz nahm setzte ich mich kurzerhand dazu.

„Jau, dat ist ja schon ziemlich lange her. Da hatte der Friedrich Kallweit, ihr wißt doch, dieser Heimatvertriebene und seine Mutter, von dem Bauern Simmeler das kleine Haus gemietet mit dem Schuppen und dem Garten hinter dem Haus. Da hielten Sie Hühner und Ziegen. Und der Frieder verkaufte die Eier und 1A Suppenhühner, auch mal Hähnchen. Die olle Mutter Kallweit machte einen hervorragenden Ziegenkäse und schlachtete die Hühner. Frieder ist ein kluger Mensch und sehr angesehen. Naja, Nu isser ja auch schon alt und die Mutter lebt nicht mehr. Aber das komische war ja, daß der Jan Bickler auch Eier verkaufte. Meist in den umliegenden Orten. Nur wenige Bauern halten noch Hühner. Der Bickeljan hat einen großen Garten mit einer riesigen Wiese und Obstbäumen. Dann fuhr er mit seinem Dreirad durch die Orte und brachte die Eier an den Mann. Aber Hühner konnte man bei ihm nicht kaufen. Mit der Zeit hatte er so viele Hühner, daß sie ihm schon immer mal ausbüxsten. Und durch einen dummen Zufall kam es dann heraus, daß Bickeljan kein Blut sehen kann. Dann wurde ihm schwarz vor Augen und: Bumm. Lag er bewußtlos am Erdboden. So ein großer kräftiger Mensch und so‘ne Zimperliese. Tja..“

„Na jedenfalls“ setzte der nächste Gast die Rede fort, „es verging ja eine lange Zeit, und Bickeljans Hühner bildeten einen Gesprächsstoff. Dann kam eines Tages die Schwiegermutter von dem neuen Dorfbewohner zu Besuch. Der Bickeljan verkaufte seine Eier, und da er ja ein unterhaltsamer Bursche war, unterhielt er sich immer mit der Schwiegermutter, solange.bis er seinen Kaffee ausgetrunken hatte. Und diese Schwiegermutter machte täglich lange Spaziergänge. Dann ging sie auf dem Rückweg bei Jan vorbei, trank Kaffee, erzählte ihm was und beendete die Unterhaltung meistens, besser gesagt immer mit den Worten: Ab morgen (werde ich, mache ich, könnte ich, würde ich-) und so weiter. Offensichtlich hat aber nichts davon geklappt, denn es blieb bei dem Versprechen: aber ab morgen…..“

Nachdem noch eine weitere Runde Bier auf dem Tisch stand, ergriff ein etwas hagerer Herr nun das Wort und nuckelte ständig an einer kalt gewordenen Tabakpfeife. „PPff..“ Jaja, das war so. Ich erinnere mich dunkel. Auf einmal konnte man bei Jan Hühner bekommen. Es sprach sich schnell herum, daß sie von ausgezeichneter Qualität waren.. Ppff– Ppff.. Das müssen ja unwahrscheinlich glückliche Hühner gewesen sein.!“ Dann zog er ein bißchen die Nase hoch und schüttelte mißbilligend den Kopf. „Es war doch so“ warf der erste Erzähler ein, „daß Jan und die Schwiegermutter eine Beobachtung machten.“ „Eine Beobachtung. So!“ „Ja, So!“ „Und was soll das gewesen sein?“ “Nun, es fiel das seltsame Verhalten der Hühner auf, sie machten komische Bewegungen, stießen seltsame Laute aus, versuchten wie ein Hahn zu krähen und dann stanpften sie mit den Füßen auf, drehten sich im Kreise und fielen tot um. Mit offenen Augen und offenem Schnabel.!“ „Ja und?Was hatte das zu bedeuten?“
„Wissen Sie es nicht?“ „Natürlich nicht, ich bin ja kein Hühnerexperte.“

„Es war doch so“ sagte ein weiterer Gast, daß die Schwiegermütter auf dem Rückweg beim Jan saß am Tisch draußen vor der Küchentür, und da tranken sie dann Kaffee und unterhielten sich, und die Hühner liefen gemütlich herum. Und wenn die Schwiegermutter sich dann auf den Heimweg machte, der doch nur ein paar Grundstücke weiter war, verabschiedete sie sich vom Jan. „Und das sage ich dir, Jan – ab morgen nehme ich eine Regenjacke mit. Oder „Gute Nacht Jan. Ab morgen esse ich nicht mehr so spät Abendbrot- Oder „Ab morgen gehe ich nicht mehr durch den hinteren Waldweg.“ „Ja und?“ „Ja, was denn na und! Verstehen Sie denn nicht? Die Hühner haben sich totgelacht. Jedesmal ab morgen. Da lachen ja die Hühner. Diese Hühner hatten ja nun täglich was zu lachen. Dank der Schwiegermutter. Das hält ja kein Huhn aus. Und deshalb – die Hühner hatten einen glücklichen Tod – Sie haben sich totgelacht“

Die Runde hatte sich zu vorgerückter Stunde wortlos aufgelöst. „Glauben Sie denn so etwas?“ Sprach mich eine ältere Dame an. „Ich weiß nicht.Ab morgen gehe ich früher ins Bett.“ Sie sah mich entsetzt an? „Was ist denn?“ fragte ich ein bißchen grob.“ Es sind doch keine Hühner hier!“

Berlin, den 22. Oktober 2012/LEWI

Das Versprechen

DAS VERSPRECHEN

Ende der Sechziger Jahre waren wir gelegentlich im Sommer zu Gast bei Bekannten in der Laubenkolonie. Sie hatten einen Hund, einen Boxer, der sabberte wie verrückt und hieß Ulla. Vor dem Kaffeetrinken am Sonntag ging ich meistens noch ein bißchen mit Ulla spazieren, den breiten Hauptweg entlang und noch um ein paar Ecken. Damit man nachher den Kuchen und die Sahne besser verdaut (anstatt erst zu Kaffee trinken und dann…. Aber das hatten die Gastgeber so angeordnet. Da ich noch „jung“ war, konnte ich mich schlecht den Aufgaben entziehen. Wer kannte das nicht: „Du bist noch jung, du kannst mal—!“ „Als wir so alt waren, da mußten wir…!“
„Nu mach mal, du bist ja noch jung—-!“

Ich hatte immer einen kleinen roten Gummireifen mitgenommen, den ich für Ulla ein Ende weg warf und wartete, daß sie nun losstürmt und den Reifen holt. Aber regelmäßig setzte Ulla sich dann gemütlich hin, blickte teiilnahmslos in die Gegend und schniefte. Legte sich, die Schnauze auf den Vorderpfoten, hin und sah mich auffordernd an. Da wir ja auch wieder heimkehren mußten, ging ich bei unserem Spaziergang 4 – 5 mal den Reifen holen und auf dem Rückweg trug Ulla den Reifen in der Schnauze dann wieder nachhause. Na eben, ich war ja noch „jung!“ Wie alt Ulla war, weiß ich gar nicht mehr.

Die Laube war sehr komfortabel, hatte eine große Veranda und eine schöne Terrasse unter schattigen Bäumen und an einem kleinem Springbrunnen; viele schöne bunte Blumen und sehr gemütliche Gartenmöbel unter einem gelb/weiß gestreiften Sonnenschirm. .An einem verregneten Sonntag saßen wir in der Veranda zum Kaffee und es gab den berühmten Zupfkuchen. Es war ziemlich schwül und die Schiebefenster der Veranda standen offen. Eine dicke Hummel brummelte ganz easy durch den Raum. Man konnte beinahe sagen, sie machte einen Kontrollflug. Auch die Nachbarn waren zum Kaffee eingeladen, Vera und Erwin. Vera war eine sehr fröhliche ältere Dame und erzählte ohne Pause Witze. Davon hatte sie einen unerschöpflichen Vorrat auf Lager. Ihr Mann, Erwin, war sehr krank und sehr ruhig, aber er genoss die Lebhaftigkeit seiner Angetrauten und lachte verhalten über alle Witze, die er bestimmt schon hundert Mal gehört hatte.

Die dicke Hummel machte an jedem Kuchenteller eine Landung und dann flog sie wieder ruhig und brummelnd durch die Veranda und umkreiste jede Person noch mal einzeln, bevor sie durch das offene Schiebefenster verschwand. Und Erwin sagte ruhig und traurig:“ Wennick bald sterben muß, denn kommick als Hummel wieder. So schnell werta mich oochnich los.!“ Erwin hatte nur noch kurze Zeit durchgehalten, und wir waren natürlich sehr bedrückt. Aber, wie es heißt: das Leben geht weiter. Jedoch auch manchmal recht geheimnisvoll. Mindestens noch drei Jahre danach, ob wir nun draußen oder drinnen am Sonntag Kaffee tranken, es kam immer eine Hummel für eine halbe Stunde mindestens vorbei und flog brummelnd um uns herum, bis Richard sagte: “Nu is jut, Erwin, nu fliegma wieda weita. Ewich brauchste ja nu ooch nich vorbeikomm. Keene Sorje, wir ham Dich nich vajessen. Und Deine Frau hat sich ooch keen neuen Macka angeschafft.“

Im vierten Jahr nach Erwins Tod saßen wir mal wieder draußen, sogar ziemlich lange. Keine Hummel hatte uns besucht. „Siehste Richard, nu haste mit Deine komische Rede Erwin vertrieben. Nu kommta nich mehr zu Besuch, mein Erwin!“ Es folgte wirklich ein trauriger Moment und eine gewisse Nachdenklichkeit. Ein paar Jahre hindurch hieß bei uns jede gesichtete Hummel Erwin. Das war natürlich Unsinn. Es hätte ja auch Herbert oder Gustav, August oder Friedrich sein können.

Na ja, irgendwie war es nun ein endgültiger Abschied. Aber Ulla, der blöde Hund, hat sich nach wie vor geweigert, hinter dem Gummiring herzurennen.

Berlin, den5. Juli 2013/Lewi