Es war einmal vor langer Zeit……
Es ist schon eigenartig. Man durchforstet das Gedächtnis nach den schönen Erinnerungen und ist überrascht, wie wenig es doch gewesen sind. Wenn ich zurückdenke, waren es meine ersten vier Lebensjahre, die unbeschwert und glücklich waren. Ab dann aber war es ein immerwährender Überlebenskampf. In erster Linie auch um die Gesundheit und später durch Kriegsjahre, Nachkriegsjahre, Lebensumstände, Schicksalsschläge – was das Leben eben so bereit hält. Und für mich hat es reichlich bereitgehalten. „Die Starken tragen die Last“ hat mir einer gesagt, der es wissen muß.
Bei meinem letzten Krankenhausaufenthalt mußte ich die einzelnen Krankheiten angeben, die ich hatte. Aber die wollten sie von Anfang an wissen und haben sich von der AOK Auskunft erbeten. „Und, warum leben Sie noch!“ fragte mit gütigem Lächeln der Oberarzt? „Weil ich grundsätzlich nicht mache, was die Ärzte sagen.“ Und darüber könnte ich nun weißgott endlose Geschichten schreiben. Aber die interessieren sowieso keinen und ich habe auch wenig Lust, darüber nachzudenken. Nur mal so, der Ordnung halber.
Und deshalb bin ich guten Mutes, daß mir bestimmt noch allerhand einfallen wird, was sich lohnt, es zu erzählen. Das ist mir nämlich vor ein paar Tagen eingefallen, als ich in einer ollen Kramkiste (ich muß allerhand entsorgen, weil wegen dieser anstehenden Sanierung und Renovierung – ): Also, da war so ein alter vergilbter Bierdeckel von „Kindl“ drin mit dem „Berliner Kindl“ in dem Krug. Ja, und schon löste es eine ellenlange Geschichte aus, zumal sich später noch ein Aschenbecher aus Glas, auf dem ebenfalls ein Berliner Kindl prangte, angefunden hat.
Ich arbeitete damals in der Cuvrystraße, die ab der Kottbusser Brücke bis zur Hasenheide verläuft. Der Ehemann einer besonders netten Kollegin war Bierfahrer bei der Kindl-Brauerei. Zur damaligen Zeit wurde das Bier in großen Holzfässern, die von eisernen Ringen umgeben waren, transportiert. Es gab ja unzählige Kneipen, und die Bierfahrer hatten weiße Jacken an, eine lange Lederschürze um und rollten die großen schweren Fässer bis zu den Kellerfenstern unter den Gaststätten, wo sie dann auf einer besonderen Vorrichtung in den Keller rollten. Daher kam wohl auch der Name: „Rollkutscher“. Aus dem Keller wurde dann die Leitung zum Bierhahn angeschlossen. Die Brauereifahrzeuge waren große schwere offene Wagen, die voller Bierfässer geladen waren und wurden von vier starken Brauereipferden gezogen. Ich glaube, es waren Belgier. Schwere Pferde und strotzend vor Schönheit und Kraft. Sie hatten ein sehr schönes Ledergeschirr mit leuchtenden Messingscheiben und wenn sie durch die Straßen im Gleichschritt trabten – das war einfach Musik….
Die Kindl-Brauerei hatte während des Krieges auch sehr gelitten, wurde aber zum Teil, wie ich mich glaube erinnern zu können, In Neukölln in der Hermannstraße wieder aufgebaut. Ende der fünfziger, Anfang der sechziger Jahre, als wir noch in Kreuzberg wohnten, haben wir natürlich alles wahrgenommen, was sich so im Umfeld abspielte, besonders in der Hasenheide. Darüber werde ich noch gerne schreiben. Aber nun zu meinen schönen Brauereipferden. Einmal im Jahr, ich weiß nicht mehr zu welchem Anlaß, vielleicht Bockbieranstich, machten die Brauereigespanne einen großen Umzug. Da waren auch Sechsspänner dabei. Die Pferde waren herausgeputzt, die Bierfahrer blendend weiß gekleidet, die Wagen eine Augenweide und das Hufgetrappel im Gleichschritt der vielen Pferde habe ich jetzt noch im Ohr, wenn es vom Asphalt herauf klang.
Nun kann ich mich natürlich auch irren, denn die Schultheiß – Brauerei und andere haben wahrscheinlich auch ihre Umzüge gemacht, aber Kindl gehörte nun mal zu Kreuzberg-Neukölln, und in den Kindl-Festsälen in der Hasenheide, und ich glaube auch in der Hermannstraße, hatten wir viele Festivitäten besucht. Aber wie gesagt – das ist so lange her. So alt wird ja kein Schwein.
Aber in diesem Radius Kreuzberg-Neukölln gibt es noch viele Geschichten, die wir erlebten, mein Bruder und ich, denn das war eine zeitlang ja unser neues zuhause und man dachte nicht, daß man ihm noch einmal entfliehen könnte – aber dann kam der Umzug auf den Acker. Im wahrsten Sinne das Wortes, denn Lichtenrade war ein großes Dorf und unser Haus stand auf einem riesigen Kohlrabi- Feld.
Demnächst werde ich weitererzählen – jetzt habe ich erst mal Hunger.
Bis die Tage, Freunde