Ein zauberhafter Ort

Mariawörth! Der Dampfer hat in Velden abgelegt und eine beträchtliche Anzahl Touristen hat denselben in Mariawörth verlassen. Im Kurschritt, versteht sich. Es ist aber auch ganz schön heiß.

Auf der Terrasse am See, feinste einheimische Küche ist annonciert, läßt sich die Dame auf den bequemen Stuhl mit Armlehnen und weichem Polster nieder. „Ich sitze erst mal wieder“ Steht in ihrem Gesicht geschrieben. So etwas gab es eben nur in Oesterreich. Einen Oberkellner, einen Kellner, einen Zahlkellner, eine Serviererin… „Küüüsss die Haaand, Frau Hofrat und so weiter. Frau Hofrat trägt ein ärmelloses Kleid, türkis, und darüber eine taillierte weiße Jacke. Weiße Tasche, weiße Sandaletten mit bequemem Absatz und einen weißen Tragebeutel aus gehäkeltem dicken Garn. Eine Halskette aus undefinierbaren Material in weißem Grundton und bunten Motiven. Aus Mexiko? Indieanerschmuck? Imitation? Weiß man ja nie, was Frauen so um den Hals tragen.

„Pfifferlinge in Sahnesoße mit Semmelknödeln“ kann ich vestehen. Na, jedenfalls keine Diät und auch nichts Ausgefallenes. Irgendwelche tierischen Eingeweide in pikanter Soße – ist ja auch nicht Jedermanns Sache. Die Wellen plätschern, Dampfer fahren hin und her, die Luft flimmert, ab und zu regt sich ein Windchen….. Hier ist es schön. Und romantisch ist es. Keine Frage. Auch ein bißchen antiquiert – und vornehm. Gibt es ja vereinzelt doch noch. Oder, sagen wir mal, gediegen. Muß es ja auch geben. Für die wegsterbende Generation. Soll‘n sie halt ihren Anteil haben. Entspannt in meiner sehr bequemen Sitzgelegenheit zurückgelehnt, den Rest eisgekühlten Campari Orange vor mir, (ich habe schon gegessen) und in Vorfreude auf noch einen späteren Kaffee (Melange) blicke ich andächtig in der Gegend herum und denke vor mich hin. „Mein Gott, kann die Welt schön sein.!“

Ein älterer Herr im leichten Sommeranzug steht plötzlich vor meinem Tisch. „Wenn Sie gestatten, gnädige Frau, würde ich mich gern zu Ihnen setzen!“ Ich bin verblüfft und irgendwie aus meiner Träumerei gerissen. Bin ich im falschen Film? Na, die gnädige Frau gestattet mit einem leichten Kopfnicken und einer sparsamen Handbewegung „Bitte sehr.“ Unauffällig taxiere ich meinen plötzlichen Tischherrn. Er ist gut gekleidet, macht einen gepflegten Eindruck, hat offensichtlich Manieren und sieht auch sympathisch aus. Na ja. Ich hätte doch nicht „NEIN“ sagen können, „ich sitze hier lieber alleine und träume vor mich hin.“

Auf Stirn und Oberlippe haben sich kleine Schweißperlen gebildet, die er mit einem Stofftaschentuch weg tupft. Nach dem Studium der umfangreichen Speisekarte hat er seine Bestellung dem entsprechenden Bedienungspersonal anvertraut. Hoffentlich bringen die nichts durcheinander, denke ich. Ein kühles Bier steht nun auch vor ihm.

Ich nicke ihm kurz und freundlich zu als ich bemerke, mit welcher Genugtuung er den ersten tiefen Schluck genießt. Nun lächelt er ein bißchen und wischt den weißen Schaum von der Oberlippe. Mit dem Stofftaschentuch. „Ach, das tat wirklich gut“ sagte er und hatte seine Gesichtszüge nicht mehr ganz unter Kontrolle. Anscheinend konnte er sich zwischen einem zurückhaltenden Lächeln und einem genüßlichen Grinsen nicht so recht entscheiden.

„Man ist ja diese Temperaturen überhaupt nicht mehr gewöhnt. Zum Glück ist man ja nicht genötigt, sich übermäßig viel zu bewegen, Sommer – kann mitunter doch auch ganz schön anstrengend sein,“ Das kann ich bestätigen. Ich nicke zweimal kurz mit dem Kopf und sage: Doch doch.“ Er spricht jedes Wort so langsam und gestelzt aus – holprig. Ob er einen Schlaganfall hatte? Ich schaue ihn mir näher an. Er hat graue Augen, ist leicht gebräunt und glattrasiert, hat eine gerade Nase und ein kaum wahrnehmbares Doppelkinn, wenn er eine bestimmte Kopfhaltung einnimmt. Und wenn er ein Lächeln probiert, bilden sich kurz hinter den Mundwinkeln zwei schmale senkrechte Grübchen. Einen erweiterten Gesichtskreis hat er auch. Seine Haare haben sich diskret zurückgezogen und schimmern in der Sonne in grau gesprenkeltem honigblond.

Nachdem der Kellner mich inzwischen einmal mit Frau Doktor in Verbindung mit einer devoten Verbeugung angesprochen hat, wendet sich mein Tischnachbar mit entsprechender Verve an mich: “Gnädigste machen hier Ferien? Oder nur eine kleine, wie man so sagt : Stippvisite?“ Mein Gesichtsausdruck muß ihn wohl erschreckt haben. Man hatte mir sehr oft versichert, daß man in meinem Gesicht meine Gedanken lesen kann. Nun, vielleicht was er des Lesens kundig? Da stand,
gut lesbar auf deutsch und österreichisch: „Leicht unterbelichtet, was?“
„Nun sah er mich mit dem berühmten Hundeblick an und wirkte so hilflos, daß ich lachen mußte. Erst leise und zurückhaltend, und dann etwas lauter. Er hatte längst eingestimmt, und so lachten wir immer länger und ein wenig lauter, blickten uns in die Augen und stimmten aufs neue in das Gelächter ein. Der Herr Oberkellner, in freundliches Schwarz gekleidet, wandte sich distinguiert ab.

Mit den letzten leisen Glucksern sagte ich“ Ich bestell mir jetzt Kaffee“ und er meinte: „Eis wäre doch auch nich schlecht, hm?“ „Nee“.
„Woran merkt man das?“ fragte er. „Das merke ich immer. Ich kann es
nicht beschreiben. Die vorsichtige, gekünstelte Ausdrucksweise, die Angst, etwas Ungehöriges zu sagen – als Prolet angesehen zu werden (von Frau Dokta).“
„Gibts hier Weiße?“ fragte er. „Weiß ich nich. Ich trinke Kaffee.“
„Woll‘n wa nich mal bißkin durch den Ort bummeln? Is ja nich mehr janz so heiß. Aba Reiseandenken und so, ach nee.Für son Firlefanz habick einfach keenen Sinn.“
„Habick ooch nich. Schade ums Geld.“

Nachdem wir uns vorgestellt hatten, fragte er; “Sind Sie mit dem Wagen da?“
„Ich habe keinen. Ich kann ja nich mal fahren.“ Er war aber mit dem Wagen da.

Da fuhren wir also. Einmal nach Villach, einmal nach Klagenfurth
und einmal nach Velden .Die ganze Zeit über war es noch immer ganz schön heiß.

„Weißte Klaus, immer hier könnt‘ ick nich wohnen. Und die Dampfer auf der Havel (da mußte ich wieder so lachen) find ick viel schöner, hahaha, als hier.

Viel eleganter. Berlin eben!“ „Na, nu machma halblang. Et is überall so schön wie man sich fühlt. An‘n Neuen See, da sollten wa och ma hin.
Wat meinste?“

Also ja. Meen ick ooch.

Berlin, den 12, August 2012/Lewi

Alle Namen und Orte sind frei erfunden, Ähnlichkeiten mit lebenden Personen zufällig.