SPLITTER (35)

Von jetzt auf gleich

Es war an einem Samstag-Vormittag, so gegen 11 Uhr. Wir turnten noch in den Betten herum und hatten uns aus den zusammengerollten Kissen wieder unsere „Wohnung“ gebaut, wo wir mit unseren Teddybären und der Käthe-Kruse-Puppe Familienleben spielten. Mein Bruder hatte den blauen Schlafanzug an und ich ein Nachthemd mit kleinen Blümchen, was schon etwas verwaschen war und ein paar Blümchen herausgefallen waren. Unsere Mama hatte in der Küche zu tun und unser Papa geleitete eine Kommission durch das in unserem rückwärtigen Garten zur Zeit leerstehende Bürogebäude. Es waren Leute in Zivil, die im Luftfahrtministerium ausgebombt waren und eine neue Bleibe suchten.

Als die Sirene ging, hatten wir kaum reagiert, denn ich beschrieb bereits einmal, daß das rückwärtige Amtsgebäude zwei untereinander liegende Keller, die mit jeweils einer Stahlbetondecke versehen waren, hatte und der Zugang nur kurz und überdacht war. So richtig Angst kannten wir eigentlich nicht. Aber als innerhalb weniger Minuten ein höllisches Bombardement begann, flitzten wir schnellstens in den Keller. Auch die Mama aus der Küche und die Leute, die das Haus besichtigten, liefen schnellstens in den Keller. Zum Glück in den unteren. Es dröhnte ohrenbetäubend. Das Licht ging aus, und nun waren die vielen Menschen in der Dunkelheit gefangen. Meine Mama, mein Bruder und ich faßten uns an den Händen und umklammerten eine Stützfeiler, um den unsere Arme gerade herumreichten. Mein Vater und ein Luftschutzwart waren wie gemöhnlich draußen, um die Lage zu observieren. Dann kam der Vollstreffer. Er erwischte das Haus genau in der Mitte, und beide Kelllerdecken verbogen sich zu einer tiefen Kerbe. Im Vertrauen darauf bauend, daß die Gefahr zunächst weitergezogen war, hörte man nur noch die entsetzlichen Einschläge und pfeifenden Bomben, aber unser Papa und der Luftschutzwart geleiteten die Menschen hinaus in die Ungewißheit. Wo unser Grundstück zuende war, stand eine halb hohe Mauer, die uns vom Grundstück der Feuerwehr in der Lindenstraße trennte. Dort gab es einen tiefen Luftschutzkeller, wo man zunächst mal in Sicherheit war.

Unser Wohnhaus blieb zunächst unversehrt, weil es zwischen zwei hohen Häusern stand. Es hatte keine Bombe abbekommen, aber durch den Qualm aus der Umgebung konnte man nicht atmen. Wir gingen zunächst noch in unsere Wohnung, aber dann zogen wir uns schnellstens ein paar Kleidungsstücke an und retteten uns auch zur Feuerwehr. Am Bombentrichter vorbei über Ziegel auf dem Rasen, durch die Rosenrabatte an Brandbomben vorbei, die noch nicht explodiert waren, vorbei zur Mauer, wo uns zwei Feuerwehrleute hinüber halfen.

Am darauffolgenden Tag begann unsere Odyssee.

Die Amerikaner hatten sich lange geweigert, die Zivilbevölkerung mit flächendeckenden Bombardements zu überziehen, aber schließlich gaben sie dem Drängen der Briten nach. Der Historiker M.Foedrowitz dokumentierte den Tag, der als „Operation Donnerschlag“ Eingang in die Geschichte fand. Die Moral der Deutschen sollte gebrochen werden, Flüchtlingsströme entstehen lassen und die Macht der alliierten Luftstreifkräfte eindrucksvoll demonstrieren. Ausgewählt wurde Leipzig, Chemnitz, Dresden und Berlin. Während General Eisenhauer sich lange Zeit sträubte und es unvertretbar fand, die Zivilbevölkerung zu bombardieren, gaben die Briten aber nicht nach.

Dieser Tag ist in meinem Gedächtnis unauslöschbar eingegraben und alles, was jemals in meinem Leben danach kam. Ich werde nichts vergessen. Nachtragen, Rache, Vergeltung, Heimzahlung, das sind nicht meine charakterlichen Eigenschaften.

Ich habe die Menschen studiert. Und darüber möchte ich lieber schweigen.

 

Berlin, den 3. Februar 2015  (3. Februar 1945)

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