SPLITTER (43)

(Dann fällt einem alles wieder ein.)

Die Kinder waren noch klein, deshalb paßten sie auch in das Auto rein. Mein selbstgewählter Familienvorstand befand, daß man ein Fortbewegungsmittel benötigt, damit man nicht immer die Einkaufstüten tragen muß und auch mal schneller ins Kino kommt. Also stand da eines Tages eine grüne Isetta vor der Tür. Mein Gesicht wurde offensichtlich länger, aber „schlecht gefahren ist besser als gut gelaufen“ wurde ich belehrt. Mein Bruder hatte inzwischen einen Führerschein und einen alten Opel, damit fuhren wir am Wochenende raus oder irgendwohin, je nach Wetterlage. Manchmal blieb der Opel stehen. Dann benutzten wir die öffentlichen Verkehrsmittel, um wieder nachhause zu kommen.

Da mein Bruder in unserer Straße seine Arbeitsstelle hatte, stand der Opel vor der Haustür, und weil mein Bruder von Autos soviel Ahnung hatte wie vom Fallschirmspringen, war das Auto mehr oder weniger Ansichtssache. Inzwischen gesellte sich ein dunkler VW, ich glaube sogar schwarz, von einem Nachbarn hinzu, der relativ of benutzt wurde, im Gegensatz zu unseren Fahrzeugen, die vorzugsweise einen dekorativen Charakter hatten. Immerhin – in unserem Straßenabschnitt parkten somit zwei Autos und eine Isetta.

Unsere Mutter stieg weder in das eine noch in das andere Fahrzeug, sondern lief die meisten Wege zu Fuß und benutzte im Extremfall die Hochbahn. Obwohl sie also sozusagen eine unbeteiligte Person war, sparte sie nicht mit Vorträgen, guten und schlechten Beispielen und haderte wieder mit den Gegebenheiten, welche auch immer gerade aktuell waren. „Daß das wieder hat kommen müssen!“ war einer ihrer Lieblingssätze, denn mit diesen fahrenden (wenn sie fuhren) „Vehikeln“ war ja nun kein Staat zu machen. Im Gegensatz zu „früher“, da war ja alles ganz anders. Ja stimmt, mit den Autos von Mamas Bruder war wirklich Staat zu machen, aber diesen Staat gab es ja nun mal auch nicht mehr. Und diese Isetta – also irgendwie gewöhnte man sich daran. Ein Fahrer, eine Beifahrerin, zwei kleine Kinder und zwei volle Einkaufstüten – und sparsamer Spritverbrauch. Was will man mehr? Da sowieso kaum ein Auto auf den Straßen war, hatte man sozusagen durchweg freie Fahrt.

Ein befreundetes Ehepaar, mit dem wir immer Karten spielten (Doppelkopp), wohnte in der Manteuffelstraße, ich glaube Nummer eins. Da gab es auf dem Hof noch einen Kuhstall, und es stank natürlich bis in die oberste Etage. Da brachten die Leute noch ihre Kartoffelschalen und Gemüseabfälle hin, bekamen ein bißchen Brennholz zum Feuer anmachen und tauschten Brennholz für Kartoffelschalen. Na jedenfalls, der Hausherr hatte einen Bekannten, der bei der Polizei KFZ Schlosser war und dieser Mensch wäre bereit, den Opel mal einer richtigen Durchsicht zu unterziehen. Also tat er das in den nächsten Tagen, lag mal unter dem Auto und mal oben drauf, mal mit geöffnetem Kofferraum, mal mit geöffneter Motorhaube, glänzte vom Gesicht bis an die Zehen (dachte ich mir) nach Öl und Wagenschmiere. Wuchtete Reifen hin und her und hantierte mit dem Werkzeug. Er kniete auf einem alten zerissenen Sack und sah sich alles innen und außen genau an und das Werkzeug klapperte auf dem Gehsteig. Es fanden sich auch Zuschauer ein, und es waren einige darunter, die A h n u n g hatten. Damals hatte man ja noch Winker am Auto, das war auch sehr lustig. Die Winker funktionierten, und die Hupe auch.

Also beschafften wir uns etwas zu trinken und ein paar Stullen und fuhren nun zur Probe rund um Berlin, soweit man das damals konnte. Getankt hatten wir auch, trotzdem versagte die Karre in Zeitabständen immer wieder den Dienst. Der Fachmann zerbrach sich den Kopf, was mit der Kiste los war, und ab und zu leistete uns ein gütiger Schutzmann Gesellschaft, um hilfsbereit verschiedene Vorschläge zu machen. Mein Vorschlag wäre gewesen, die Kiste auf den Schrottplatz zu fahren und ein „Auto“ zu kaufen, nur woher nehmen wir das Geld, nicht wahr.

Eines Tages, nach vielen Mühen und vielen guten Ratschlägen, speziell auch vom Isetta-Fahrer, der immerhin Ingenieur war, hatte er uns wirklich den Gefallen getan und fuhr. Der Ingenieur bewohnte sozusagen eine Ladenwohnung, weil man in den meisten Häusern diese kleinen Läden nicht mehr als solche nutzte. Da zogen so unternehmungslustige Singles ein. Im hinteren Teil war es eigentlich ganz gemütlich, gab sogar eine Küche und ein etwas antiquiertes Badezimmer mit einem Kohleofen, aber damit die Isetta nachts nicht unbeobachtet in dieser wüsten Gegend rund um den Lausitzer Platz Schaden erlitt, wurde sie durch die Ladentür gezwängt und paßte tatsächlich knapp hindurch, und konnte dann friedlich den nächsten Morgen abwarten. Der glückliche und talentierte Besitzer nahm sie auch gerne mal ziemlich auseinander und mitunter ergaben sich ja wirklich solche Fragen wie: was gehört denn nun wo hin? Da entfernte ich mich dann gerne und kehrte heim zu meiner Mama und den Kindern, denn sie hörten gerne Märchen, und dann erzählte ich ihnen was. „Wird das Auto wieder gesund?“ Für die Kinder war die Isetta ein Auto. Haha! „Na, das wollen wir mal hoffen!“ Doch doch, sie wurde. Sie hat den zahlreichen Untersuchungen kernig widerstanden.

Mal fuhr das eine nicht, mal fuhr das andere nicht. Aber die Hochbahn fuhr zuverlässig und nach Fahrplan. Wenigstens etwas. Man hat ja von Jugend auf gelernt, sich zu bescheiden.

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